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Dead can dance // Anastasis
PIAS Recordings
1. Children of the sun
2. Anabasis
3. Agape
4. Amnesia
5. Kiko
6. Opium
7. Return of the she-king
8. All in good time
Die Rückkehr der Sonnenblume
Die Zeit, in der DCD Werke wie „Spleen and ideal“ oder „Within the realm of a dying sun“ ans Tageslicht bringen sollte und dabei allerlei Schwarzromantiker zur musikalischen Vereinnahmung veranlasste, einer Zunft von Pausenclowns mit noch traumatisch biederer Kunstästhetik anzugehören, ist längst vorbei. Und keine Band des manierlichen „Gothic“ Genre hat dabei je die Höhenzüge und verzierten Turmspitzen einer Band gesehen, die auch nach sechzehn Jahren immernoch überraschen kann. Aus grellen New Wave Klängen wurden Friedhöfe und Burgmauern, aus einem Feuerwerk bei Mitternacht zum mittleren Zeitalter traumartige Katakomben – und zuletzt streiften sich alle Gewänder der Vergangenheit ab und wichen indischen Skalen, afrikanischen Rhythmen, Bongos und Didgeridoos. Danach ließ sich die Band vom Indus ins Nichts treiben.
„ Anastasis“ setzt hier an – ist aber ganz andersartig.
„ We are the children of the sun/Our kingdom will come/Sunflowers in our hair;
We are the children of the sun/Our carnival’s begun/Our songs will fill the air“
„ Children of the sun“ erstrahlt wie ein Fixstern. Eröffnungstracks hatten bei DCD stets besondere Strahlkraft, schon zu Zeiten von „De Profundis“ oder dem majestätischen „The host of Seraphim“, aber kaum einer war derartig farbig, lebhaft und kraftvoll wie dieser; es stimmt, lauscht man diesen Klängen, werden zunächst Erinnerungen an Perrys letzte Veröffentlichung wach. Schwere Synthesizer zerren Goldstaub in die Luft, während Streicher zum contrecarrer der eben polternden Rhythmik werden – wäre nicht Perrys glasklarer, sonorer Bariton würden die Kinder der Sonne beim Auftakt im Duftzelt in Gedenkstille versinken, etwas, was etwa bei Gerrards zweitem Solowerk („The silver tree“) zuweilen zu hören ist. Hier nicht – der Track trägt sich anmutig vorwärts, bricht sich in einem Gong oder greift ein Muster auf, das entfernt an das Instrumentarium von „Cantara“ erinnert und spitzt sich zunehmend entlang des Geigenhalses zusammen, bis Perrys Stimme kurzzeitig erlischt. DCD konnten immer Welten erschaffen und aus der Asche der ersten sechs Minuten wächst die totgeglaubte Sonnenblume nun zu Hörnern und großem Pomp wieder gen Licht. Diese Musik strahlt. Und wärmt. Pathos ist bei Gerrard und Perry Romantik und stets zweckdienlich.
DCD wandelten sich aber auch stets und schon „Anabasis“ klingt wie ein Urwald bei Nacht, in dem sich Gerrard zu einem verirrten Hang in somnambule Trance singt. Und wie wunderbar hypnotisch diese Stimme noch heute klingt! Gehaucht, aber voll, kräftig und doch stets mit einer Behutsamkeit, die unerreicht ist. Ja, die fast hysterische Energie früher Tage ist einer Form von sich windender Geschmeidigkeit und ausgeglichener Würde gewichen, aber ein zweites „Ocean“ oder „Mesmerism“ würde diesen Tönen auch die Farbe entziehen und jedem Yang-Qin Spieler auf den Bühne der Welt die Adern gefrieren lassen. Jedwede selbstverliebte Grandezza weicht hier minuziöser Illumination – Gerrard modelliert lautmalerisch Emotionen zu einem schwebenden Klavier, trägt durch Cello-Versatzstücke, die an „Eye of the hunter“ gemahnt sind (so taucht etwa die Grundmelodie von „Voyage of Bran“, aber auch der gurgelnde Bass von „The captive heart“ in „Agape“ auf) oder wirft sich zu Dudelsäcken in Brokat und Gold. Ohne Zweifel ist Perrys Handschrift überall erkennbar (speziell „Ark“, von dem auch die mächtigen Strahler des „Bogus man“ erneut eingeführt werden), aber gleichsam erinnert alles auch an unvergessene Zeiten, an „Aion“, an die magische Schönheit „The carnival is over“, an die Renaissance einer ausgebluteten Szene.
Es ist ein beständiger Teil von „Anastasis“, dass es diese Fäden wieder aufnimmt; in „Amnesia“ widmet sich Perry explizit dem gesellschaftlichen Hang des kollektiven Vergessens; „History is never written/by those who’ve lost“ – es klingt wie die Klage der Toten und lauscht man dem Dröhnen, spürt man dem abgrundtiefen Hall nach, dem Klavier, dem resignativen Grundton, werden die immer wieder kehrenden Tage wach, die für zu viele zu langen, ausweglosen Nächten wurden. „Sweet Mnemosyne, sweet Mnemosyne!“ klingt es bebend schwer nach. Der Ruf an die Göttin der Erinnerung.
„ Anastasis“ hat Berührpunkte mit zahlreichen Kulturen, Einflüsse, vor denen sich die Band nie verschließen wollte – Nordafrika, China, Irland, Türkei, Griechenland, Indien, Amerika und Australien leben in diesen Melodien, die auch bei einer weniger flächigen Produktion ihren energetischen Moment nicht verfehlt hätten. Auch eine gute Spur zu lang ist die lang erwartete Rückkehr geworden, die mit einem etwas verschwenderisch schön klingenden „All in good time“ den Sargassosee entlang paddelt; man mag dabei fast ein Augenzwinkern aufschlagen hören.
Ich kann Jan Wigger (SPON) beipflichten: Die Kunst dieser Band zu beschreiben, das zu subsumieren, was letztlich von allen anderen dieser Art abgrenzt, ist kaum in Worten möglich. Man muss es selbst erleben. Und ob „Anastasis“ an die größten Werke des Duos heranreicht, geschenkt. Manchmal braucht es wie in „Opium“ nur einen Sufi 6/8 Rhythmus, Anklänge an marokkanische Volksmusik und Perry, der innbrünstig singt, wie lange nicht mehr, subtil und sublim gleichermaßen. Wenn man über die Jahre etwas aus der Melange dieser Band gelernt hat, dann doch, dass Entwicklung zuzeiten erst mit Verspätung auf Gegenliebe stößt – und das wird auch für „Anastasis“ gelten. Denn eine Abgrenzung gibt es dann doch: Während esoterische Farbenspiele meist Totgeburten sind, stehen die zeitlosen Songs dieser Koryphäe selbst auf dem Totenbett noch in voller Blüte. The dead can dance.
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Hold on Magnolia to that great highway moon