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Bonnie ‚Prince‘ Billy – The letting go
Drag City (2006)
1. Love comes to me
2. Strange form of life
3. Wai
4. Cursed sleep
5. No bad news
6. Cold & wet
7. Big friday
8. Lay and love
9. The seedling
10. Then the letting go
11. God’s small song
12. I called you back
(13. Ebb tide)
Wenn ich in diesem Augenblick in mein Regal sehen würde, so gäbe es wohl wenige Werke, die ich so sehr schätze und noch weniger, die ich ähnlich oft gehört habe, wie das 2006er Werk des kauzigen Prinzen aus Kentucky. Das in Island aufgenommene zwölfte Studioalbum Oldhams ist noch mehr als alles andere, was mir bislang von ihm zu Ohren kam, sinnlich und behutsam, eigentlich aber nur schlicht intuitiv glücklich – Schlüssel dazu und Grund dafür gibt der bärtige Barde zweifellos wieder selten in die Hand, den kennt er nämlich größtenteils selbst nicht. Im Gegenteil: Die Tür zu Schmerz, Leid und Zweifel steht auch bei „The letting go“ noch offen, ein wenig zumindest, Oldham und seine Hörer aber eben außerhalb der zugehörigen dunklen Hütte, weit hinunter schauend vom verschneit-nebeligen Gebirge auf Wälder, Flüsse und Seen; Und auch hinauf zu den Toten, die wie im Opener („Love comes to me“) den Himmel übervölkernd ihre Kreise ziehen – aber mit einer seltsam ausgeglichenen Anmut. Die ist womöglich der schönste und auch stimmigste Begriff, der im Kontext der Werks fallen muss, das ein wenig dort ansetzt, wo „I see a darkness“ rund sieben Jahre zuvor endete. Es regnete nicht mehr („O, it don’t rain anymore/I go outdoors/Where it’s fun to be”) und so ist “The letting go” auch nicht mehr Ausdruck des vom Leben, Tod, zerfressender Liebe oder einlullendem Zweifel Gebeutelten, sondern ein wenig der Tag nach der Depression, an dem ein großer Beutel Sorgen und Ballast dann nun einfach zurückbleiben muss. Nicht von ungefähr ist der Albumtitel dabei ein Querverweis auf (Emily) Dickinsons Gedicht „After great pain“, dem er auch direkt entstammt („As freezing persons recollect the snow/First chill, then stupor, then the letting go“). Nach der Abkühlung die Benommenheit und dann der Abschied also. Auf welche Wege Oldham auf den enthaltenen Titeln führt, zeigt sich aber erst auf der Reise selbst, leitet diese doch dann auch der unruhige, aber mutige Prinz, nicht aber der alles überblickende König.
Seine Herkunft hört man „The letting go“ recht deutlich an; es ist ein ausnehmend feines, vielseitiges und schönes Album, eines dieser, die man mit „aus sich heraus atmend“, „luftig“ oder direkt „seelenruhig“ betiteln würde und damit sogar richtig liegt. Zu hören sind zwölf (bzw. dreizehn, „Ebb tide“ ist als Bonustrack enthalten) zuweilen ausufernde, aber stets in sich und auch im Albumkontext schlüssige Songs, liebevoll ausgeschmückt, mit Streichern, verzückenden Glockenspielen, Klavier, auch polternden, elektronischen Rhythmen, manchmal nur einer verzaubernden Gitarrenmelodie. Von zwei Tracks abgesehen („Cold & wet“, „God’s small song“) lässt sich Oldham stets durch (Dawn) McCarthys (Faun Fables) sirenartiges Hauchen und Zwitschern begleiten – „Ich hatte noch nie eine so schöne Stimme gehört“ gibt der Gute zur Protokoll und es stimmt ja auch: Das fügt sich hier vielmals („No bad news“, „Then the letting go“, „Cursed sleep“, „Lay and love“) so wundersam zusammen, dass es nicht nur eine wahre Freude ist, sondern auch den Atem nimmt. Im Fluss und wie aus einem Guss. Stimmen müssen sich ja nicht per se begleiten, sie dürfen auch klare Gegensätze stellen und so vermischt sich auf der Bildebene hier Gelb mir Rot, elfenartiger Gesang mit sanftem Bariton zu vollmundigem Orange – und das klingt dann keinesfalls überstrapaziert oder unpassend, sondern vielmehr völlig natürlich und auch überaus harmonisch. Bei allen kargen Songs und zuweilen nachdenklich-kritischen, nie aber pessimistischen Texten, ist Oldham ja nun kein einsamer, selbstdämpfender Solist, der im abgedunkelten Hinterzimmer triste Gedicht zu nie endendem Leid und versteinerten Herzen zu Papier bringt, das zeigen schon die vielen gemeinsamen Arbeiten, von Harvey, über Cave, eben McCarthy, Tortoise, Matt Sweeney oder gar Cash. Und so sieht sich auch das Ich des lyrischen Oldhams beständig mit Schmerz, menschlicher Grausamkeit und Ignoranz, meist aber nur mit dem eigenen Tief und Dunkel – dem er, wie in „Black“ sogar zunächst versucht mit der Schaufel Herr zu werden -, dieser „Sünde des Lebens“ selbst womöglich konfrontiert und ist sich, wie in „Death to everyone“ darüber im Klaren, dass der Tod sicher zum letzten Begleiter wird, es schon im Leben etwas abseits ewiger Wanderschaft ins Ungewisse vielleicht gar nicht geben kann. Was dann demgemäß das auch eher gering ausfallende Reisegepäck erklärt. Die Auswahl ist hier einfach: Ein wenig Zuversicht, das Quantum Trost, zwei händevoll Hoffnung und, um „I see a darkness“ noch mal aufzugreifen, „[…]a love for everyone I know“.
Wo im Oeuvre des Prinzen der Tod auf der Bildfläche erscheint, ist das Leben meist ganz nahe und auch der immer wiederkehrende Schmerz wird der Liebe in einer Nähe entgegengestellt, die kein Blatt dazwischen hindurchziehen lässt. „When things become too warm, make them a little wet“, singt es dann im country-lastigen, auflockernden Einsprengsel „Cold & wet“ grinsend, als dürfte es als Obertitel für das ganze Werk gelten, sei es gar die (Lebens-)Philosophie des Masterminds selbst. Was sie gewissermaßen wohl auch ist. So treibt ihn in „Strange form of life“ das Verlangen nach diesen zärtlichsten aller Lippen, die so viele Jahre gesucht wurden („the softest lips ever/twenty-five years of waiting to kiss them/smiling and waiting to bend down and kiss twice“), die kurz darauf aber im dunklen Zimmer wieder zu vergessen versucht werden („a dark little room across the nation/you found myself racing/forgetting the strange and the hard and the soft kiss in the dark room“). Und dann diese grausamen Träume von Verlust und der Veränderung als solcher, in denen der Protagonist am Bestand der Liebe zu zweifeln beginnt und sich generell gewaltig festkrallen muss – So ohne Beine! („I cut my legs and fingered hunger/She sang my name and so engulfed/And I cried and felt my legs fail/In her arms I trembled electric/Ah, and she led me and she held me”). Das geschieht weder lyrisch noch musikalisch in pathetisch-überladener, trist-karger und gar klebrig-kitschiger Form, sondern bleibt als ständiges Wechselspiel zwischen Nähe und Abstoßung, Licht und Dunkel, letztlich Leben und Tod, äußerst aufrichtig erhalten. „The letting go“ ist ein zerbrechliches und sanftes Werk, Trägheit hört man jedoch nur selten, wenn man dem stürmischen „Cursed sleep“ oder der fast rohen Fassung von „The seedling“, (welches übrigens durchaus erneut die Thematik von „Song for a new breed“, des in sich Tragens des Sprosses, der dort verborgen heran wachsen wird, schön aufgreift) oder dem vielleicht größten Titel des Albums, „No bad news“, so lauscht, die – soviel Pathos darf sein – durch McCarthys Kontrastierung nicht nur bestärkt, sondern regelrecht beflügelt werden, ist da sogar etwas außerordentlich Kraftvolles im Gange. Sicher nicht alles ohne Makel und Längen, aber wer würde schon einen krummen Fuss, schiefen Zahn, schielenden Blick oder zu kleinen Daumen einer geliebten Person kritisieren? Das wird bislang und mit den Jahren erst zum Sahnehäubchen, zu diesem Perfekten im Imperfekten, zu dem, „what makes me lay here and love“ und den Prinzen nun schlussendlich doch krönt.
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Hold on Magnolia to that great highway moon