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Vespertine ist auch eins meiner Lieblingsalben – es freut mich natürlich, dass Du es hier besprichst. Aus meiner Sicht bist Du mit dem Lob aber zu sparsam umgegangen. Ich habe mir immer gewünscht, dass die Zukunft der Popmusik so klingen möge wie „Hidden Place“, „It’s not up to you“ oder „Pagan Poetry“ – aber leider hat mir die Popmusik diesen Gefallen nicht getan, stattdessen gab es Phänomene wie Retro-Gitarrenrock (The Strokes, The Libertines et al.), Retro-Synthpop (80er-Revival), Retro-Soul… you name it.
Aber was soll’s, ich kann ja weiter Vespertine hören und mich an der Verschmelzung von Pop mit abstrakter Electronica erfreuen, an der Verbindung minimalistischer Strukturen mit üppigen Arrangements, von elektronischen und akustischen Klängen, von Intimität und Grandiosität, an der schieren Schönheit und Emotionalität der Platte. Und natürlich am großartigen Gesang. Björk macht ein größtenteils positives und freundliches Album (das düstere „An Echo, a Stain“ ist die Ausnahme) mit Chören, Streichern, Harfen und Spieluhren, das trotzdem nie kitschig wird, ein sehr introvertiertes, aber nicht abweisendes Album. Emotional ist es in der Tat ganz anders als das extravertierte Homogenic, wie Du ja schreibst, und technisch ist es ihre Laptop-Platte. Sie hat zu dieser Zeit die Möglichkeiten, mit dem Laptop zu komponieren, für sich entdeckt und die Sounds für das Album entsprechend ausgewählt. Aber das ist weniger wichtig als das Ergebnis, und das Ergebnis ist einfach etwas ganz Besonderes, ein so majestätischer wie heimeliger Eispalast.
Ich habe leider nicht die Zeit, um das Album zu würdigen, aber ich will ein paar kleine Ergänzungen zu Deinem Text anbringen:
Irrlicht Mehr und mehr verlagerte Björk ihre Musik in intime, private und introvertierte Gefilde… So erklingt „Vespertine“ bereits mit „Hidden place“ zurückgezogen, entrückt, fast ein wenig unvertraut und surreal. … „Hidden place“ ist ein erhebender Titel, Björk besingt Liebe und Leidenschaft, … den Wunsch sich völlig der Welt zu entziehen, was in dieser Konsequenz weite Teile der verschneiten „Vespertine“ durchzieht und durch den Titel des folgenden Stücks bestärkt wird.
Das finde ich sehr treffend; damit ist das Thema des Albums gut umschrieben.
Irrlicht„Cocoon“ ist (feder)leicht und lieblich, eine zarte Monodie an Verirrung und Faszination, die nur von klackernden Soundspielereien getragen wird und Björk nicht nur im dazugehörigen Video entblößt darstellt. Zu leicht ist alles, die Stimme flüstert die Worte regelrecht und man ist schon nahe daran, die Protagonistin beim nächsten Windstoß festzuhalten zu wollen.
Sie können sich ja gegenseitig festhalten, immerhin erzählt dieses wunderbar friedliche (oder befriedigte) Stück ja davon, wie sie mit ihrem Liebsten im Bett liegt. Was meinst Du denn mit „Verirrung“?
Irrlicht„Pagan poetry“, mit Effekten, unter der Leitung einer ungemein sinnlichen Harfenmelodie Zeena Parkins’, versehen und seiner Zäsur kurz vor dem Ende, ist dabei ebenso schön zu hören wie der freudig-repetitive Singsang von „Heirloom“, der die Verbundenheit zu Mutter und Sohn beschreibt. Dass diese in der Nacht (über ihr) wachen und warmes Öl über die heiseren Stimmbänder träufeln ist nebenbei auch ein sehr schönes (Sinn)Bild um Geborgenheit zu beschreiben, wie ich finde.
„Heirloom“ basiert übrigens auf dem Stück „Crabcraft“ von Martin „Console“ Gretschmann, zu finden auf dem Album Rocket in the Pocket.
IrrlichtMag manches schon auf „Homogenic“ anzutreffen gewesen sein, mit „Vespertine“ lädt Björk verstärkt zu einem Blick auf Island. Nach eigener Aussage sollte „Vespertine“ (ehem: „Domestika“) winterliches Ambiente bannen und so ist das Werk tatsächlich ein vertonter Ausschnitt ihrer Heimat.
Eigentlich war Island auf Homogenic sogar noch stärker Programm als hier (speziell bei „Joga“). „Domestika“ war der Arbeitstitel, als sie noch ein Album mit Songs über das Alltagsleben zu Hause machen wollte. Den Plan hat sie dann nach und nach aufgegeben.
Irrlicht Elektronik (u.a. shuffling cards („Pagan poetry“, „Cocoon“, „Hidden place“))
Das muss man vielleicht erklären: Matmos haben einen Stoß Spielkarten gemischt, das Geräusch, das dabei entsteht, gesampelt und daraus einen Beat gebastelt, den man in den ersten Sekunden von „Hidden Place“ hören kann. Das ist aber nur ein Sound unter vielen. Die durch den Schnee stapfenden Füße von „Aurora“ sind bedeutsamer.
IrrlichtSo ist … „Vespertine“ manches Mal etwas zu lang geraten, aber so eigentümlich (und nebenbei auch äußerst schön produziert), dass mir stets ein positives Gefühl zurückbleibt.
Ich empfinde Vespertine gar nicht als zu lang, sondern als ganz vollendet. Das Album zieht mich hinein in seine eigene Welt. Mir ist es von all ihren Alben auch am liebsten, wenngleich ich Homogenic fast genauso sehr mag.
Als Ergänzung zu Vespertine empfehle ich noch die „Hidden Place“-CD1 mit „Generous Palmstroke“ und „Verandi“.
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To Hell with Poverty