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Da hast Du Dir ja nochmal richtig Arbeit gemacht, Andrea. Mensch, herzlichen Dank
Carrot FlowerDen gestrigen Abend habe ich mopsfidel mit Portishead und zehn Seiten Papier verbracht, also nun etwas mehr Rückmeldung zu Text und Deutung. Die Kritik wirst du mir nicht übel nehmen, du weißt ja, dass ich deinen Text grundsätzlich sehr gelungen finde und du generell nicht auf meiner To-Hate-Liste stehst. Zudem haben gerade meine Fragezeichen an deinem Text meine Deutung dieses Albums erst herausgekitzelt, merci also!
Wenn Du das so sagst, glaube ich es mal :lol:
Carrot FlowerAls Erstes aber noch die Übersetzung der portugiesischen Verse (gegoogelt, ich kann auch kein Fitzelchen Portugiesisch):
Beachte die Regel der Drei.
Was du gibst, wird zu dir zurückkommen.
Diese Lektion musst du lernen.
Du bekommst nur, was du verdienst.Angesichts der Tatsache, dass der Arbeitstitel von „Silence“ „Wicca“ lautete, sicherlich food for thought. Man muss sich aber nicht mit Hexenkulten beschäftigen, um den Spruch zu deuten; in wohl jeder Kultur gibt es Sprichwörter und Sinnsprüche, die auf eine Art kosmisches Ausgleichs-Gesetz hinauswollen. Damit ein Album zu eröffnen, in dem die Frage danach, was sich Leute antun, Verletzung durch den Anderen und Verlust von Deutungsmustern eine große Rolle spielen, kommt nicht von ungefähr. Aber genug davon, zumindest hier und jetzt.
Was Du da ausgegraben hast ist für mich alles andere als uninteressant. Zumal ich es ja höchst ungewöhnlich finde mit einem solch fast schon unheilvoll anmutendenen Gleichnis (zumindest wenn man es parallel zur Musik wahrnimmt) einen Startpunkt zu setzen. Passt aber.
Carrot FlowerWas mich etwas gestört hat, war der Versuch, eine Art festes Szenenbild zu entwerfen, in dem sich ein Protagonist bewegt. Sicher hat man immer auch Bilder im Kopf, wenn man Musik hört, aber mir war das zu starr. Da hat man dann diese Großstadtszenerie mit einer Person in einer bestimmten Lage, und plötzlich muss jede Stimmung jedes Songs irgendwie in dieses Bild passen. Manches davon wirkt auf mich etwas gezwungen bzw. konstruiert. Ich denke, du hast es so gemacht, um dem Text einen Rahmen zu geben, für mich ist das kein Gewinn.
Ok. Ehrlich gesagt ist es nicht mal so, dass ich das nicht nachvollziehen könnte. Wenn ich mir den Text im Nachhinein so durchlese, erkenne ich schon jetzt vieles, was ich nun ganz anders machen würde – z.T. ganze Ansätze. Der Großteil des Textes entstand innerhalb von zwei Tagen, in welchen ich das Album permanent hörte. Ich gehe einfach mal davon aus, dass es selbst unterbewusst einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf mich hatte – nicht auszuschließen, dass ich mich in meiner Wahrnehmung durchaus in eine Richtung bewegte, die später etwas konstruiert, gekünstelt und übertrieben wirkt..
Eins wöllte ich noch anfügen: Zumindest bei mir entstehen beim Hören nahezu immer Bilder im Kopf, wenn das nicht passiert, lasse ich die Musik liegen. Das ist eigentlich immer jene Musik, die ohne nur den geringsten Anspruch an das eigene Tun geschaffen wurde, – damit meine ich weder die Musik die ich nicht mag, noch generell jene „Musik für die Massen“ (da auch diese beiden Beispiele Bilder hervorrufen können, ob diese mir etwas sagen, mir etwas geben, ist allerdings eine andere Angelegenheit) – Musik, die nichtmal ein Mindestmaß an Herzblut in sich trägt. Kurzum: Musik, die dem Schöpfer nichts bedeutet, sondern nur geschaffen wurde, um die Fans zu unterhalten. Hoffe mein Gedankengang ist nicht allzu verwirrend.
Carrot FlowerSehr schön finde ich dagegen meist die Ausdrücke, mit denen du die Musik direkt beschreibst bzw. Stimmungen einzufangen versuchst („seidigen, fast bedrohlichen Rhythmus“). Das ist sehr eigenständig, und ich kann das ganz gut deuten. Allerdings auch hier eine kleine Kritik: manche Bilder sind etwas windschief oder überladen, aber das passiert schnell, wenn man beim Schreiben gerade selbst emotional ist oder viele Eindrücke auf einmal festhalten will.
Dein abschließender Satz fasst es gut zusammen. In manchen Momenten driftet man mit der Musik in Ebenen ab, die später womöglich tatsächlich überladen wirken. Womöglich hätte ich das Geschriebene nach dem Abschluss für einige Tage liegenlassen und danach „korrekturlesen“ müssen. Mein Kopf, wie auch meine Erfahrung, sagen mir allerdings, dass der Text unter diesen Umständen nie fertig geworden wäre. Eine so unglaublich selbstkritische Person, wie ich es bin, findet dann tatsächlich nie ein Ende, sondern belastet sich unnötig mit tausenden von Fragen, die dann ohnehin nicht beantwortet werden. Der Text war kein Schnellschuss, wohl aber ein erster „Test“, wie man auf meine Schreibe reagieren würde. Ein Probedruchgang vielleicht auch, ich habe nun so unzählig viele Tipps und neue Sichtweisen, dass es eigentlich nur bergauf gehen kann.
Carrot FlowerZur Interpretation: Da höre ich vieles anders als du, das lässt sich hier aber unmöglich en detail darstellen (ich bin aber gern dabei, wenn du den Ball aufnimmst). Zum Beispiel nennst du „The Rip“ verzaubernd, hoffnungsvoll. Für mich ist es bei aller Sanftheit und Schönheit auch leise bedrohlich, schon allein durch die verstimmte Gitarre (wunderbare Idee). Oder „Deep Water“. Ich hab das selbst noch nicht ganz klar, aber drollig oder herzallerliebst kann ich den Track nicht finden – hast du mal auf diesen Chor geachtet? Statt in Barbershop-Manier akzentuiert und dynamisch zu trällern, singen hier Wasserleichen, ganz verschliffen und müde. Zusammen mit all dem bedrohlichen Wasser im Text kein Sonntag mit Segeltörn…
Allerdings, ich hatte mir jedoch auch nicht angemaßt die „Deutungshoheit“ (wie man das hier so schön sagt bzw. schreibt) inne zu haben, die Wiedergabe ist meine, mehr kann sie eigentlich auch nicht sein. Ich habe versucht möglichst viel aus den Texten zu gewinnen und das war letztlich mein Eindruck. Wobei ich ja Deine Alternativen sehr sehr gut finde und mittlerweile geradezu dafür plädiere, dass Du Dich hier auch regelmäßig mit einem Favoriten-Thread einbringst. Das wäre doch was, mir machen Deine Vorschläge wirklich Spaß und die Idee mit den Wasserleichen ist so fern tatsächlich nicht. Muss ich wohl nochmal genauer hören, womöglich habe ich diesem unscheinbaren „Schnipsel“ zu wenig Beachtung geschenkt.
Bei „The rip“ bleibe ich standhaft – für mich ist es ein zentraler Punkt, der die Stimmung ein wenig aus dem Abgrund erhebt. Und für mich ist er auch thematisch weit weniger verzweifelt, aussicht- und trostlos als das Gros der Platte. Womöglich hatte ich allerdings auch hier etwas übersehen, dieses Album hat offensichtlich einen längeren Atem als meine Wenigkeit.
Deine Einladung zum fröhlichen Bällewerfen nehme ich natürlich gerne an – allerdings zu einem späteren Zeitpunkt. Etwas im Stress heute.
Carrot FlowerFür mich am anregendsten war dein Abschnitt über die Wirkung, die das Album auf dich hat, denn das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Zapft dir „Third“ tatsächlich Freude ab, fühlst du dich schlecht, wenn du es hörst? Ich will hier nicht wieder in philosophische Gefilde abdriften (sonst heult nachher wieder einer :lol:), aber mich kann traurige Musik nicht runterziehen, wenn sie so hervorragend und intelligent gemacht ist, und ich unterstelle, dass es dir ebenso geht, sonst würdest du sie nicht freiwillig hören, oder? Kriegst du nicht schlechtere Laune, wenn du das Radio anstellst und irgendwas lieb- und gedankenlos Zusammengeknüppeltes hörst?
Doch, dort auch, allerdings. Ich denke, ein Problem ist, dass Du die Wörter womöglich schlimmer auslegst als ich. In der Tat, für mich ist selbst der Umstand „runterziehend“ nicht allzu tragisch. Die Musik bohrt in Wunden, reinigt aber gewissermaßen auch. Ich definiere Musik als Kenntnisgewinn (ja, schon bevor ich dieses Forum betrat), nicht zuletzt über sich selbst. Genauso ist es für mich spannend zu wissen, warum ein Album eben so auf mich wirkt, wie es wirkt – warum es mich traurig, glücklich, unruhig macht etc. Weswegen es meinen Herzschlag beschleunigt, mich absolut langweilt und mich verstört (ich schrieb dazu ja bereits ausführlicher in Deinem, dafür vorgesehenen, Thread). Warum sollte ich für diesen Gewinn nicht den Weg durch die gefühlstechnische Hölle in Kauf nehmen ? Ist es mir wert.
Und natürlich zieht manche Musik runter – egal wie brilliant sie ist. Das ist doch gerade das „Positive“. Oder würdest Du einen Horrorfilm anschauen – diesen dann auch noch freudig hochhalten – wenn er sich es nicht zum Ziel setzen würde zu verstören, zu verängstigen. Glaube ich nicht. Manche Dinge haben einen Zweck zu erfüllen und „Third“ hat sich etwas bestimmtes zum Ziel gesetzt. Genug persönliches erzählt, abschließend: Ich mag Musik die mich „runterzieht“ (auch emporhebt, so ist es nicht), die mich vielleicht auch in ihrer Form verstört und psychisch an Grenzen bringt. Angst habe ich vor jener Musik, bei der ich nichts fühle. Kalte Ware, nichts kann schlimmer sein.
Könnte noch fortführen, aber mir tun nun gehörig die Finger weh. Komme jetzt grade auch erst vom Arbeiten.
Ach ja: Bin morgen wohl nur in den frühen Stunden und spätabends hier anzutreffen, daher nicht wundern wenn eine Antwort auf sich warten lässt.
Grüße :wave:
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Hold on Magnolia to that great highway moon