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Sicher kann es von Vorteil sein, die Kulturkreise zu bereisen, deren Musik man hört. Als zwingende Voraussetzung sehe ich das allerdings nicht an. Man reist ja schließlich auch nicht ständig nach UK bzw. USA, um seine musikalischen Kenntnisse zu vertiefen bzw. sich mit deren Kultur zu beschäftigen. Vielmehr geht man ja allgemein davon aus, dass diese Kulturen der unseren mit am ähnlichsten sind. Stellt sich nur die Frage, ob das wirklich so ist. Und was wäre dann mit Frankreich? Immerhin ist das unser direkter Nachbar, trotzdem hört man hierzulande kaum französische Musik, zumindest im Vergleich zur angloamerikanischen Musik. Sprache scheint also ein Grund für den Siegeszug angloamerikanischer Musik zu sein. Und das funktioniert auch dann, wenn die Bands und Musiker aus anderen Ländern kommen. Oder wie ist z.B. der Erfolg von Abba sonst zu erklären? Wären sie gleichermaßen erfolgreich gewesen, wenn sie auf schwedisch gesungen hätten? Wohl kaum. Auch Fela Kuti hatte sich damals nur deshalb dazu entschlossen, auf Pidgin Englisch zu singen, damit ihn zumindest alle Nigerianer verstehen können, denn nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung dort spricht Yoruba.
Seit ca. 3 Jahren beschäftige ich mich nun mit Musik aus Afrika und die Vielfalt der Kulturen ist immens. Afrika wird auch heute noch gerne als homogenes Gebilde präsentiert, was natürlich Unsinn ist. Nicht einmal bei einzelnen Ländern wie Nigeria oder Mali kann man von Homogenität sprechen, was bei willkürlich gelegten Grenzen auch schlicht und ergreifend unmöglich ist. Den Einstieg habe ich zunächst über schwarze anmerikanische Musik gefunden. Ich interessierte mich für die Wurzeln von Jazz, Soul, Funk und Blues, die ohne Zweifel in Afrika zu finden sind. Dabei hat sich mein Interesse auch längst auf den arabischen Norden ausgeweitet, vor allem der Maghreb ist musikalisch höchst interessant. Die Sprachen, in denen Gesungen wird, stellten für mich nie ein Hindernis dar. Ganz im Gegenteil, manchmal stört es mich sogar, wenn auf Englisch gesungen wird. Die Texte kann man dennoch oft verstehen, da vielen Alben eine englische Überstzung beigelegt ist, oder zumindest eine Erklärung auf Englisch. Für mich ist die Sprache eine höchst interessante, zusätzliche Nuance, eine Art weiteres Instrument. Wenn z.B. Simphiwe Dana aus Südafrika mit selbstverständlicher Leichtigkeit in ihrer Sprache Xhosa singt, eine Sprache, deren Worte unsereins nur schwer lesen geschweige denn aussprechen kann, dann hat das seinen ganz eigenen Reiz, den man mit Englisch kaum erreichen könnte. Dana selbst hat in einem Interview mal gesagt, dass sie ihre Gefühle auf Englisch niemals so ausdrücken könnte wie auf Xhosa. Und wenn man sich dann die englischen Übersetzungen durchliest, wird man schnell feststellen, dass die Themen uns gar nicht so fremd sind, wie wir das vielleicht erwarten würden, ganz egal ob es sich dabei um Liebeslieder oder sozialkritische Texte handelt.
Dass das alles heutzutage unter dem Begriff Weltmusik eingeordnet wird, ist mindestens schade zumal dieser Begriff stark vorurteilbehaftet ist. Mit Tourifolklore hat diese Musik nichts zu tun. Eine ganze Reihe kleiner Labels veröffentlicht heute Musik fernab von angloamerikanischen Hörgewohnheiten, die sich der Sunshine Reggae Tourist niemals anhören würde. Stellvertretend sei hier einmal die Congotronics Reihe des belgischen Crammed Labels genannt.
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Wann kommt Horst Lichter mit dem Händlerkärtchen und knallt mich ab?