Re: Die Übermacht der Nostalgie in der Wahrnehmung von Popmusik

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pelo_ponnes

Registriert seit: 13.04.2004

Beiträge: 2,820

Ich habe mir nur einen Bruchteil dieser Diskussion durchgelesen, aber trotzdem einige unstrukturierte Anmerkungen:

– ich finde die Selbstverständlichkeit, mit der hier eine klare Trennlinie zwischen guter und schlechter Musik gezogen wird, schon erstaunlich. Ich finde es zum Beispiel schon ziemlich dreist, Leuten, die Queen’s „We are the Champions“ oder Boney M. gutfinden, zu unterstellen, dass sie sich freiwillig „Schund“ anhören. Vielleicht ist es der Musikkritik gelungen, diese Sachen als Schund abzutun, weil das alles kommerziell viel zu erfolgreich war, um gut zu sein (für mich absurdes Herangehen an Musik) oder ihnen Frank Farian und seine hübschen Marionetten nicht in den Kram passten. Aber jeder, der sich unbefangen den MUsikstücken nähert, müsste eigentlich schon erkennen, dass man diese Musik nicht als Schund bezeichnen kann, selbst wenn man sie selbst nicht mag. Zum BEispiel erkennt man, wieviel Zeit die MUsiker in die Entwicklung von Stücken gesteckt haben, oder wie ausgereift Produktion oder Arrangements sind. Wie ausgefeilt der Gesang oder auch die Beherrschung der Instrumente ist. Wenn irgendwann ein bisher unbekannter Dylan-Song zur Stadionhymne grölender Fußballfans wird, wird er also nachträglich auch zu Schund erklärt? Nein, ohne mich.

– Generell nähern sich einige hier der Musik viel zu sehr mit dem Kopf. Ob etwas gut ist, sagt mir persönlich mein Herz. Sprich, wenn es Emotionen auslöst, ich vor Freude an die Decke springen muss oder eine neue Welt erschließt. Im nachinein mag ich mir dann vielleicht überlegen, woran es liegt, dass mich das Stück so begeistert. Aber ich werde nie auf die Idee kommen, durch einen späteren Prozess des NAchdenkens über diese Musik zu versuchen, sie kleinzureden, weil sie vielleicht nicht vom „richtigen“ Künstler stammt.

– abgesehen davon stimme ich durchaus darin überein, dass Musik oft auch eine funktionelle Komponente hat. Wenn ein Stück jemanden halt deswegen bewegt, weil er damit besondere Erlebnisse in seiner Vergangenheit verbindet, so empfinde ich dies nicht als Verrat am guten Geschmack (was ist das überhaupt? Ich lasse mir das jedenfalls nicht von altklugen Kritikern vorschreiben), obwohl ich selbst eher weniger so funktioniere. Ich frage mich nur, wie viele hier im Forum eine Gruppe hochhalten, weil sie irgendein Image verkörpern. Die sollen also lieber etwas kleinere Töne spucken.

– Ich stimme trotzdem überein, dass es prinzipiell trotz aller subjektiven Unterschiede Qualitätsunterschiede gibt in der Musik. Würde man ein Experiment wagen mit Musikliebhabern, die alle einen ähnlichen Erfahrungshintergrund haben und ihnen verschiedene STücke vorspielen, zu denen sie keine andere Beziehung aufbauen sollen als die Musik selbst zu beurteilen (sprich: keine Nostalgie, kein optisches Image oder ähnliches), würden sich sicherlich null Leute finden, die ein dilettantisches, melodieloses Stück als gut bewerten würden.

Was mich selbst betrifft, so höre ich mir ständig neue Musik an und versuche meinen Horizont zu erweitern. Also von mangelnder musikalischer Bildung kann da keine Rede sein. Trotzdem komme ich immer noch zu dem Ergebnis, dass „We Are The Champions“ ein geniales Musikstück ist, auf absoluter Topebene. Gleiches gilt zum Beispiel für die Boney M Version von „Sunny“, die ich viel besser finde als die von Hepp. Und wenn dort ein anderer Name stünde, würden das wahrscheinlich auch viele respektable Kritiker sagen. Aber Boney M wurde halt unter „schlecht“ abgelegt. Schubladendenken. WEiter gibt es Stücke wie „Gotta Pull Myself Together“ von The Nolans, die ich nicht als großartige Musik empfinde, die mir aber Spaß bringen und deshalb genauso ihre Berechtigung haben wie die Heimatfilme im Fernsehen. Unter dieser Ebene gibt es dann sicher Sachen, die wahrscheinlich wirklich überflüssig sind.

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