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tolomoquinkolomBitte nicht missverstehen: Adams, Palmer, INXS sind nicht peinlich. Ich habe sie (rückblickend) dazu erklärt, weil sie meiner musikalischen Biographie eine Delle zufügen, die sich dem Auswuchten entzieht. Außer Lobotomie dürfte da auch nicht viel helfen. Die Genannten zählen zu meinen Leichen im Keller, von denen Rossi gesprochen hat. Und leider nicht deutlicher wurde. Rossi! Namen, Namen, Namen. Geier wollen auch leben.
Ich hatte das nur prophylaktisch erwähnt. Man weiß ja nie, was man so alles im Keller hat (und dabei bin ich gar kein Brewster). Robert Palmer ist ja über den Verdacht erhaben, „Johnny & Mary“ war 1980 eine grandiose Single und ist es immer noch, auch „Looking For Clues“ und „What’s It Take“ finde ich immer noch sehr gut, da muss ich dem 12-jährigen Rossi nicht im Nachhinein ins Gewissen reden. Auch sonst kein schlechter (der Palmer!).
Was bei mir wohl eher der Unterschied zu anderen hier ist – ich bin nicht so schnell mit Begriffen wie „ekelhaft“, „grenzwertig“ usw. bei der Hand, Hassgefühle sind mir weitgehend fremd, wenn es um Musik geht (auch sonst). Ich versuche immer zu verstehen, warum das bei anderen anders ist, zumal einem von dieser Seite ja gerne vorgeworfen wird, Toleranz sei fahrlässig, wenn es um Musik geht. Aber anderer Leute Ekel und Hass kann für mich kein Maßstab sein und kann auch keine Grundlage sein für Diskussionen.
Namen? Das Thema Boney M scheint hier ja einigen unter den Nägeln zu brennen, also schauen wir mal furchtlos zurück. Natürlich fand ich mit 8, 9, 10 Jahren Boney M gut. Kein Wunder, Farian hat mit Boney M ein musikalisches Esperanto geschaffen, das weltweit verstanden wurde, es gibt kaum eine europäische Gruppe, die in der „Dritten Welt“ so populär war. Das nur mal als Faktum, die Bewertung ist davon ja unberührt.
Die frühen Sachen wie „Daddy Cool“ und „Sunny“ sind aber auch gut produziert, wie Mikko zurecht einwarf, und Liz Mitchell war eine untadelige Sängerin ohne Manierismen. Natürlich ist das alles meilenweit entfernt von der Grandezza der Genre-Klassiker wie Donna Summers „I Feel Love“, Chics „Good Times“, ABBAs „Dancing Queen“, Michael Jackson „Don’t Stop Til You Get Enough“ usw.
Man muss Farian aber attestieren, dass zumindest die Auswahl von Coverversionen für seine Schützlinge (also auch Eruption & Co.) Pop-Verstand erkennen ließ – Sunny, Still I’m Sad, Rivers Of Babylon, One Way Ticket, I Can’t Stand The Rain, Cry To Me, das sind tolle Songs. Es gehörte immer wieder zu meinen „Aha“-Erlebnissen, wenn ich irgendwann den Originalen begegnete.
Mir wurden Boney M aber damals bald schon zu albern, der Sound entwickelte sich immer mehr in Richtung „Kindergeburtstag“. Einer ihrer Auftritt bei Ilja Richter mit „Hooray It’s A Holiday“ (1979) gehört zu den frühesten Momenten, an die ich mich erinnern kann, bei denen ich etwas richtig peinlich und albern fand (Ilja Richters „Sketche“ gehörten übrigens regelmäßig dazu, da waren wir uns auch auf dem Schulhof einig – da sollte man einer Legendenbildung dringend vorbeugen). Und am mickrigen Fernando-Ripoff „El Lute“ kann man studieren, worin die Größe von ABBA bestand. Bald darauf hatte sich das Thema Boney M auch totgelaufen.
Das einzige, was ich Farian und Boney M vorwerfen würde – dass sie mit dazu beigetragen haben, dass Disco ein weithin verkanntes Genre ist. Es gibt ja Leute, auch und gerade solche mit selbstattestiertem guten Geschmack, die finden Disco prinzipiell gräßlich und indiskutabel.
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