Re: Die Übermacht der Nostalgie in der Wahrnehmung von Popmusik

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realman

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Wolfgang DoebelingEs ging nicht um Vorschriften. Auch nicht um Vorlieben. Sondern, nochmal: um das Kleben an Hörgewohnheiten aus einer Zeit, bevor man sich rasieren mußte. Um die krampfhafte Verteidigung von Musik, aus der man irgendwann herausgewachsen sein sollte. Wenn Dir BAP im Alter noch so viel bedeuten, dann ist das eben so und es sei Dir gegönnt. Wenn Du BAP aber nur hochhältst, weil sie Dir vor 25 Jahren mal viel bedeuteten, als Du noch nicht den blassesten Schimmer von Musik hattest, dann ist das eine Form der Selbstverleugnung, die Deine Möglichkeiten beschneidet, aufregende Musik für Dich zu entdecken. Etwas, das nicht nur hier häufig zu beobachten ist (nicht bei Dir und nicht unbedingt bei BAP). Eine solche Reduktion von Musikerleben auf sentimentales Wiederkäuen ist, wie oben ausgeführt, leider überhaupt keine Seltenheit.

Meines Erachtens handelt es sich um ein Scheinphänomen. Niemand hört sich Musik an, nur weil er sie schon als Kind gut fand.
Nein, wer vor 20 Jahren zB Bay City Rollers gehört hat und dies heute immer noch tut, der macht dies nicht aus nostalgischen Gründen, sondern schlicht und einfach weil er diese Musik noch immer gut findet.
Behauptet er jedoch, er höre diese Musik doch nur, weil sie ihn an seine Jugendzeit erinnere und ihm damals viel bedeutet hat, so ist dies in meinen Augen bloße Ausrede.
Manch einer schämt sich halt zuzugeben, dass er immer noch auf Smokie oder Status Quo steht und versucht sich durch solche Ausflüchte weniger angreifbar zu machen.

Ich zum Beispiel, war als kleiner Junge ein glühender Verehrer von Howard Carpendale und David Hasselhoff. Es würde mir aber im Traum nicht einfallen, heutzutage noch eine Carpendale Platte aufzulegen. Andererseits hab ich schon als Grundschüler Ebony and Ivory geliebt, ein Stück, das die meisten hier sicherlich gruselig finden. Diesen Song aber höre ich auch heute noch gern, aber dies nur aus einem einzigen Grunde: Weil ich ihn noch immer gut finde.

Will heißen, ein Spielzeug oder eine Bibi Blocksberg Kassette nimmt man nicht mit ins Erwachsenenleben, weil man dafür als Erwachsener schlicht und einfach keine Verwendung mehr hat. Eine Bay City Rollers Platte kann ich aber auch noch 40 Jahre später toll finden. Wieso das dann so ist und man sich musikalisch möglicherweise nicht weiterentwickelt hat, ist eine ganz andere Frage. Für die es natürlich eine Vielzahl von Begründungen gibt, z.B. das persönliche Umfeld, Erziehung, ein generelles Interesse an Kunst etc.

Tja und ein weiterer Aspekt ist natürlich die emotionale Wirkung von Musik.
Musik erfüllt viele Zwecke. Wenn ich in eine Disco oder gar ein Festzelt gehe, dann primär nicht wegen der Musik (obwohls natürlich schön wäre), sondern um mich „auszutoben“ und gehen zu lassen. Die Musik ist dabei nur das verbindende Element zwischen den verschiedenen Menschen.
So kann es vorkommen, dass man schon mal zu Musik tanzt oder mitsingt, die man sich zu Hause nie im Leben anhören würde. Oft weiß man ja auch ganz genau, dass die Musik zu der man gerade tanzt der letzte Sch…ist, aber man vergisst es für den Moment und lässt sich einfach mitreißen.
Genauso wie die meisten Sportler nach einem Pokaltriumph mit Inbrunst „We are the Champions“ singen, selbst wenn sie den Song in Wirklichkeit hassen. Die Musik ist dann nur Mittel zum Zweck.

Lange Rede kurzer Sinn, also wenn jemand tatsächlich seine Bay City Roller Platten mit ins Erwachsenenleben nimmt, so tut er dies in erster Linie, weil er die Musik noch mag.

Oder die Schallplatte hat tatsächlich nur noch Nostalgierwert und dient alleine dem Sinn und Zweck, die Erinnerungen an alte Zeiten aufleben zu lassen. Wie das Gucken alter Fotos zum Beispiel. Was aber in meinen Augen auch nicht verwerflich wäre.

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