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[Robot Bender, der nicht für Hippies bremst, hat es kommen sehen. She did it.]
Eine mögliche Antwort auf die Frage ’Woher rührt das zwanghafte Bekenntnis gewisser Leute zu Musik ihrer Jugend, obwohl aus heutiger Sicht um deren Erbärmlichkeit wissend?’ könnte lauten: Weil es dabei gar nicht um die Musik, sondern um das Ego geht.
Natürlich ist es nicht leicht seinem aus der Vergangenheit herüberleuchtenden Spiegelbild gegenüberzutreten und einzuräumen, dass man damals zwar jünger, aber musikalisch ganz schön alt aussah. Was tun? Leugnen ginge. Bluffen auch. Vielleicht hilft es den Spiegel abzuhängen oder ein klein wenig Voodoo zu praktizieren.
Für musikalisch frühzeitig erblindete Abhaker enden Jugend und Musikhören zur gleichen Stunde. High noon. Goodbye Pubertäts-Soundtrack und wuschiges Petting-Hintergrundrauschen. Bekenntnisse zu Musik sind nicht mehr zu erwarten. Selbsterkennern bleibt der Weg ins nächste Level nur dann nicht verschlossen, wenn sie mit ihrer Jugendmusik auch konsequent und auf möglichst ehrliche Weise abrechnen. Alles hat seine Zeit. Fehler dürfen durchaus als solche erkannt werden. Korrektur und Neujustierung sind allerdings zwingend. Niemand wurde als John Peel geboren (außer John Peel selbst). Den Update überleben Wahrnehmungen zu einer Person die man kennt, aber nicht mehr ist, sowie Erinnerungen an die Zeit stimulierender Wunder und Entdeckungen. An tanzende Teenager, tanzende Gefühle, tanzende Hormone und an rock & roll, dem ersten Sex.
Das zwanghafte Klammern beruht auf der Erkenntnis eines nachträglich festgestellten Mangels an sich selbst. Das Festhalten an der Musik seiner Jugend (sofern sie nicht aus rein zufällig glücklichen Umständen heute zum Kanon gehört) hat nichts mit Nostalgie zu tun. Vielmehr ist dies ein Schutzmechanismus gegen die hypothetische Möglichkeit eines noch gravierenderen Dilemmas: Hat man nicht nur nicht die ‘richtige’ Musik gehört, sondern auch die ’richtige’ Jugendzeit verpasst? Vor die Wahl gestellt, wird sich da fast jeder lieber ’nur‘ die Kritik seines jämmerlichen Musikgeschmack gefallen lassen.
Ich habe kein Problem mit dem Eingeständnis musikalischer Verirrungen, die mir beim Heranwachsen weder peinlich noch bewusst waren. Wertung entstand viel später. Die Kreise des Teenagers von einst sind mir heute fremd geworden, die gehörte Musik suspekt (2 Ausnahmen*). Scham ist dabei allerdings unangebracht. Aufgeben keine Alternative. Dafür war der nächste Schritt auch viel zu interessant, galt es doch die gespielte Musik nicht mehr nur zu hören, sondern auch zu verstehen, zu hinterfragen und nach Zusammenhängen zu graben. Das wiederum geht nur aktiv und führt weg von unreflektiertem Konsum.
In einer Parallelwelt hätten es gut The Bay City Rollers sein können; ich verguckte mich 91/92 aber in Cobain & Nirvana. Zweifellos ein unverschämtes Glück. Musikalisch und aus der Rückschau betrachtet. Aber keine Entscheidung aus mir heute wichtigen Gründen bei der Beschäftigung mit Musik. Wie auch. Es ging ’damals’ nicht einmal vorrangig um Musik, sondern um Girlie-Kram, Teenspeck power, Saturday night fever, Knickknack, Personenkult, Unterwäsche, Tampon genannte Stöpsel, Pickel, Pubertät, natürlich um Jungs und um ein Geheimnis, das damals eines war (jedenfalls für mich) und das es noch zu entdecken galt. Von den noch naiv in Texte hinein interpretierten Verheißungen ganz zu schweigen: Take me on, I wanna sex you up, Suck my kiss, Dirty love, Skin to skin, Love‘s a loaded gun, All i wanna do is making love to you, I want to touch you … usw.
Neben Schwärmereien für Nirvana, Matthew Sweet, Neil Young, The Cure, Iggy Pop, Suzanne Vega, Steve Wynn, Chuck Prophet, B-52’s, The Cult, Guns ‘N’ Roses (wegen Slash), Metallica und Lenny Kravitz, gab es (aus heutiger Sicht) auch jene für Katastrophengebiete wie Paula Abdul, Bryan Adams, Roxette, Robert Palmer, INXS und Wilson Philips. Noch peinlicheres lasse ich weg.
Ein Blick in heutige Einraum-Teenager-Camps bringt außer neuen Köpfen keine anderen Ergebnisse. An den Wänden hängen nicht die intelligenten Musiker, die Schöpfer von zeitlos schöner Musik, dort hängt kein guter Musikgeschmack. Wie auch, er hat sich noch nicht entwickeln können. Die Helden und Heldinnen sind vorrangig gutaussehend, Erzeuger feuchter Träumereien unter der Bettdecke, die Stars sein mögen, von Musik aber so wenig Ahnung haben wie ihre Fans. Spätere Wahrnehmungskatastrophen und Peinlichkeiten sind vorprogrammiert. Ein Kreisverkehr.
Wenn ich Wolfgang Doebelings Zorn richtig deute, ist er nicht an der Beweisführung eines Systemfehlers in Sachen Nostalgie interessiert; bedauert aber zu Recht die Selbstaufgabe Anderer und deren nicht in Anspruch genommene Möglichkeiten. Nein, keine Überheblichkeit, sondern weil da jemand offensichtlich den anderen Pfad genau kennt und ihn mit persönlichem Gewinn bereits gegangen ist. Für ihn besteht die angesprochene Erbärmlichkeit auch nicht im Gehörten der Teenager-Jahre, sondern im Unvermögen sich zu lösen und neu zu verorten. Und vielleicht geht es ihm auch ein wenig darum, wie man das alles umgehen könnte.
*) Nirvana, Lenny Kravitz
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