Re: Die Übermacht der Nostalgie in der Wahrnehmung von Popmusik

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irrlicht
Nihil

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Zwar durch das Gewühl aus Neben(kriegs)schauplätzen, Seitensträngen und bla gelesen, aber ich beziehe mich doch am liebsten gleich auf den Eingangspost, Zentrum aller (vermeintlichen ?) Aufregung. In der Hoffnung, dass es beantwortet wird, here we go…

P.S. Es wird meinerseits versucht auch auf missfallende Passagen möglichst neutral zu reagieren, nach Hasstiraden ist mir momentan keineswegs.

Wolfgang DoebelingHübsch retourniert, hübsch gruselig auch. Mofas, Weiber, Bier und Westernhagen. Erlittenes Leben. Mein Beileid. Und Gratulation zur späteren Emanzipation. Soweit sind nicht alle gekommen. Manch einer hört sie noch trotzig, seine „Maxis“. Und steht auch sonst mannhaft zu den ästhetischen Unzulänglichkeiten seiner musikalisch verpfuschten Jugend.

Mofas, Weiber, Bier und Westernhagen klingen mitnichten nach einer musikalisch (gar weitergehenden ?) verpfuschten Jugend, sondern nach einer Gegebenheit, die man doch weit mehr als nur selten antrifft ? Generelle Hinnahme und Spaß an Triviallem ? Womöglich. Fußball fehlt noch in der Auflistung, lässt sich auch wunderbar mit den anderen Faktoren verknüpfen. Mit den Weibern im Arm – die man vorher mit dem vom mässigen Taschengeld zusammengesparten Mofa abgeschleppt hat – in vergnüglicher und bekannter Runde bierkippend dem Ball hinterschauen, währendessen Westerhagen im Hintergrund aus den Boxen knallt. Soweit, so unverfänglich.

Nebenbei: 12″ Single klingt – zumindest in den Ohren der Personen, die nicht auf Vinyl zurückgreifen – auch wenig verständlich. Da ist die Maxi – als Abkürzung für Maximum in der Bespielmenge, nehme ich an – doch eindeutig bildhafter.

Wolfgang DoebelingSchon merkwürdig, daß man unter Cineasten keinen finden wird, der sich noch gern „Liebesglück mit Alpenblick“ ansieht, weil er diese Schmonzette als 11Jähriger mit seiner Tante im seinerzeit einzigen Kino weit und breit erleben durfte. Undenkbar auch, von einem erwachsenen Literaturkenner zu hören, seine Bettlektüre bestünde aus den Abenteuern von Hanni und Nanni. Wenn es aber um Musikkonsum geht, scheint es keine Nostalgie-Schamgrenzen zu geben.

Das mag alles so stimmen (wobei ich mir noch heute „The last unicorn“ ansehe. Nostalgie ? Vielleicht. In jedem Falle ein großartiger Film, thematisch wie auch vor allem technisch. Aber das nur am Rande (wo Du anmerktest, dass dieses Verhalten hauptsächlich, gar ausschließlich nur Bestandteil der musikalischen Bewertung und Einordnung ist).

Solange man die ehemaligen Schätze nicht weniger kritisch begutachtet, ist daran doch nicht auszusetzen. Aber das schließt sich bei der von Dir genannten Personengruppe aus, nehme ich an ?

Wolfgang DoebelingBei nicht wenigen brechen da habituell alle Dämme, denken sie nur daran zurück, wie ihnen Mami immer Grießklößchensuppe kochte, während sie auf der Wohnzimmercouch Ilja Richters „Disco“ schauten, mit tollen Sketchen und noch tollerer Musik: Nina, Udo und Spliff. Und dann die tollen Nächte mit dem „Rockpalast“ erst! Bier, Weiber und Westernhagen. Und am nächsten Morgen mit Kater und Mofa zur Schule. Geile Zeit, das. Später mit 16 dann umgesattelt. Von Mofa auf Moped, von „Bravo“ auf „Musikexpress“, von Maffay und Marius auf Axl und Jon. Auch geil. Mit 18 Führerschein, dann Bundeswehr. Keine Weiber, aber Bier! Das hat gerockt! Viel Queen gehört und gegrölt. „We Will Rock You“ und „We Are The Champions“! Einfach nur geil, etc.pp. Das zieht sich hin, nicht selten bis in die Jetztzeit.

Karikiert ja nur wunderbar den Haushalt und Werdegang manch Otto Normalverbrauchers. Alle verdammen ? Nicht Dein Ernst. Da scheint mir doch die Frage nach „Wieso favorisiert man dieses und jenes in bestimmten Lebensabschnitten mehr oder weniger als anderes“ weitaus interessanter zu sein. Wenn man – wie hier oftmals angemerkt – begreift und bedenkt, dass Musik tatsächlich als Soundtrack des Lebens zu werten ist, dann scheint es je nach (zeitlichen, sozialen) Umständen zu einem Durchlaufen verschiedener (musikalischer) Phasen zu kommen. Womöglich ist Udo, Spliff und Nena ja genau in diesem Moment der Heilsbringer, der Gral an den mal sich klammern und lehnen kann. Der Möglichkeit, gar Pflicht das nach 20 Jahren anders zu sehen, sollte man sich natürlich nicht verschränken, keine Frage.

Warum das dennoch getan wird ?

1.) Ansatz: Die Musik hat für den Hörer nichts an ihrem Reiz verloren. Sie transportiert gleiche, oder aber zumindest ähnliche Gefühle immernoch.

2.) Ansatz: Zwanghaftes Festhalten an Altem, auf Kosten des Entdeckungswillen an neuem. Diskussion überflüssig, musikalisch kaum interessiert. Im Vergleich zu 1.) leidet hier der Wille und die Bereitschaft neues zu entdecken, man schwimmt lieber im längst Bekannten weiter (ob nun belangloses betreffend oder auch nicht).

Wolfgang DoebelingDer eine früher, der andere später, je nach Intelligenz und Bildung.

Wenn du Auswahlmöglichkeiten – zwecks Vergleichsarbeiten – einschließt – richtig. Wobei mir mangelnde Intelligenz als Synonym für wenige Bereitschaft neues zu erkunden doch zu hoch gegriffen erscheint. Kein Wissen dieser Welt kann einem das Verstehen lernen.

Wolfgang DoebelingAber in Sachen Musik stehen nicht wenige zu ihrer inneren Provinz, suhlen sich gern darin, beweihräuchern sie, machen sich zum Idioten. Nicht Du, Ewald. Aber Du kannst das hier allenthalben beobachten. Und vielleicht hast Du ja für solche Selbsterniedrigungen und Dauerentblödungen eine Erklärung(?). Mir gibt dieses Phänomen Rätsel auf, immer wieder.

Warum so gereizt, „Dauerentblödungen, Selbsterniedrigung, innere Provinzen“ ? Noch geht es um kaum wichtiges – nein nicht die Musik selbst – sondern nur die Frage, wie und in welchem Maße man an ihr Gefallen findet. Eine überschaubare Frage, wie ich finde, die sich doch meist schnell klären lässt (von „weil’s mir halt gefällt und alles Geschmackssache“-Ausre…äh, Aussagen mal abgesehen). Natürlich teils kaum hinführend zur für sich benötigten Erklärung.

Im Zentrum steht ja letztlich nur die Frage: Aus welchen Gründen findet die Person noch gefallen daran, nur um der schönen Zeiten willen ?

Wolfgang DoebelingKeiner kann etwas dafür, (musikalisch) provinziell sozialisiert worden zu sein.

Und jeder hat das Recht „provinziell sozialisiert“ für sich selbst auszulegen. Letztlich sind wir da dann nämlich doch wieder beim bösen Subjektivismus. Wer entscheidet was wie einzusortieren ist – Du, Medien, gesunder Menschenverstand, jeder für sich selbst ? Oder doch gar Verkaufszahlen und damit verbundene Anhängerzahl ? Dann wäre Bohlen oder die Stones – je nachdem -, ja sofort im Zentrum der musikalischen Kernkompetenz. Wird ja keiner wollen.

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Hold on Magnolia to that great highway moon