Startseite › Foren › Kulturgut › Das musikalische Philosophicum › Die Übermacht der Nostalgie in der Wahrnehmung von Popmusik › Re: Die Übermacht der Nostalgie in der Wahrnehmung von Popmusik
Ich bin erstaunt über die „verkopferten“ (mir fällt gerade kein besseres Wort ein) Argumente, mit denen hier über Musik gesprochen wird, an der Menschen einfach „hängen“, die ihrem Herzen nahe ist, mit der sie sich brüsten (und nur um diese „Lieblingsmusik“ geht’s hier doch, oder?).
Ich glaube, dass es keineswegs Nostalgie ist, die Menschen dazu bewegt, weiterhin die Musik ihrer Jugend zu hören. Wie schon mehrfach betont, wird Musik anders wahrgenommen als Bücher oder Filme.
„Alte“/bekannte Musik erzeugt bei vielen heute noch dieselben Gefühle wie damals. Das ist keine Nostalgie, das ist kein Gefühl von „ach, was war das damals schön“, das ist ein sofortiges Wohlgefühl, ein Schuss mitten ins Herz. Da werden Gefühle produziert, nicht reproduziert. Und deswegen reagieren Menschen auch allergisch darauf, wenn man ihnen diese Musik madig machen will. Das heißt nicht, dass man sie als intellektuell minderbemittelt hinstellt, sondern als rein emotional gesteuert. Man kritisiert die Gefühle, die jemand hat. Warum er oder sie diese Gefühle hat, kann er oder sie mit an nahezu an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erklären. Und deswegen bleibt als einzige Antwort eine Trotzreaktion: Na, und? Ich find das halt klasse. Das bewegt mich. Warum sollte es nicht?
Letztlich kann man dazu nur sagen: Ja, warum sollte es nicht? Bitte, wenn dir diese Musik ein Wohlgefühl vermittelt, bitte. Aber schade, dass du nie versucht hast, mal was anderes zu hören, um herauszufinden, ob das nicht auch mit anderer Musik funktioniert.
Musik erzeugt Gefühle, ohne den Umweg über die Abstraktionsebene nehmen zu müssen. Bei Büchern oder Filmen gibt es immer Elemente, mit denen man sich identifizieren kann, und Elemente, die man vernachlässigt, die einem nichts geben. Wer identifiziert sich schon 100%ig mit einem Buch oder einem Film?
Aber bei Musik geht es nicht darum, dass man sich mit Takt 18 identifiziert und mit Takt 25 nicht. Entweder man findet das Lied gut oder nicht. Oder man findet den Anfang gut, den Mittelteil weniger und das Ende dann einfach nur noch peinlich. Aber solche Lieder gehören nicht zu denen, mit denen man sich auch nach Jahren noch brüstet. Mit Liedern, mit denen man sich auch nach Jahren noch brüstet, identifiziert man sich 100%ig.
Ich habe mal gelesen, dass beim Hören der Lieblingsmusik dieselben Areale im Gehirn aktiviert werden wie beim Sex (wir reden hier nicht von „Musik“, sondern von „Lieblingsmusik“). Let’s face it: Musik funktioniert auf einer primitiveren Ebene.
Man kann sich natürlich mit Musik auch intellektuell beschäftigen, wie wir hier. Aber wenn einen ein Lied packt, dann packt es einen nicht, weil es große Kunst ist. Daher können manche Hörer eben auch ein Lied „intellektuell“ für gut befinden (handwerklich gut gemacht, gut produziert, keine Fehler, intelligent arrangiert, mit einer ausgearbeiteten Struktur o. Ä.) und dasselbe Lied trotzdem nicht mögen. Weil es sie nicht anspricht. Wenn einen ein Lied anspricht, kann man natürlich hingehen und das handwerkliche Können der Musiker loben, die tollen Arrangements, die intelligente Struktur. Aber das erklärt nicht, warum man Lied A besser findet als Lied B, das diesen Kriterien ebenfalls entspricht.
Just my tuppence.
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C'mon Granddad!