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Die Diskussion hat sich ein ganzes Stück vom Ausgangspunkt entfernt, aber ich denke, dass die Ausgangsfragen mittlerweile beantwortet sind. Um es mal grob zu vereinfachen: Warum verteidigen Leute „schlechte Musik“ aus ihrer Jugend? Weil sie die eben nicht für schlecht halten – ihnen gefällt sie ja, und das ist für sie das Kriterium dafür, dass sie gut ist. Warum entwickeln sie sich nicht weiter? Weil sie keinen Grund dafür sehen, kein Ungenügen verspüren; sie genießen ja weiterhin das, was sie bisher genossen haben. (Andere entwickeln sich weiter, ohne das Alte aufzugeben, weil sie schon als Kind gute Musik gehört haben.) Warum hat Musik einen anderen „Nostalgiewert“ als Literatur oder Film? Weil sie der Soundtrack zu unserem Leben ist. Ein Popsong kann sich leicht mit einem Moment, einem Gefühl, einer Stimmung verbinden, mit Erlebnissen und Erfahrungen. Später bringt er die Erinnerungen zurück, und diese Erinnerungen werden beim Hören genossen, nicht nur die Musik selbst.Nachtrag:
Die alten Lieder sind also mit Erlebnissen, Erinnerungen, Emotionen verbunden und haben durch Assoziation die Fähigkeit erworben, ein „Lebensgefühl“ hervorzurufen. Wenn sie gespielt werden, hört man den süßen Vogel Jugend zwitschern. Das trägt dazu bei, dass man die Musik genießt; und was Genuss bereitet, das findet man gut. Wenn man nun „trotzig“ darauf beharrt, liegt das meist an der Gesprächssituation: Hat man gerade seine Freude ausgedrückt, lässt man sich nicht gern von „Besserwissern“ sagen, das „Zeug“ sei völlig wertlos; man wehrt sich gegen den Vorwurf der „Geschmacksverirrung“.Bei der Analogie zur Kinder- und Jugendliteratur sollte man nicht nur bedenken, dass Musikhören anders funktioniert als Lesen. Es kommt hinzu, dass Popmusik für alle da ist und von Menschen jeden Alters gehört wird. Bei der Jugendliteratur wird gesellschaftlich erwartet, dass man da „herauswächst“, aber bei Popmusik gibt es solche Erwartungen nicht mehr. An der Musik, die man in jungen Jahren gehört hat, festzuhalten oder sie hinter sich zu lassen, ist eine ganz individuelle und insofern zufällige Angelegenheit.
Ja, schon. Doch werfen diese Resümees ihrerseits wieder Fragen auf. Zum Beispiel: da ein Forum ständig „Gesprächssituationen“ erzeugt wie die von Dir am Ende des zweiten Absatzes charakterisierte, ist der Austausch dann nicht eigentlich obsolet? Oder: warum gibt es keine weitergehenden Erwartungen an Popmusik? Die einzige schlüssige Erklärung scheint mir: Pop wird (hierzulande) als Prärogative der Jugend verstanden, als tendentiell unterbelichtete Freizeitbeschäftigung junger Menschen, die einem eben in guter Erinnerung bleibt. Selbst von Leuten, die auch später noch gern und viel Musik hören. Wiederkäuer gewissermaßen. Das wäre wenig, zu wenig jedenfalls, um darüber zu sprechen/zu schreiben.
Ich weiß freilich, daß es auch hier im Forum etliche Gegenbeispiele gibt. Leider hat sich noch keiner von denen geäußert, deren aktueller Musikkonsum sich von dem ihrer formativen Jahre weit entfernt hat. Und die keineswegs zurückfallen wollten in ihre Ausgangslage.
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