Re: Animal Collective – Merriweather Post Pavilion

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jay

Registriert seit: 28.04.2007

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Hier sind meine Gedanken zu Merriweather Post Pavilion:

Ich bewege mich Schritt für Schritt auf den alles entscheidenden Klick-Moment zu, den ich so schnell gar nicht erwartet habe. Das Album irritiert mich komplett und ich werde einfach nicht warm damit. Es scheitert zum einen an drei Nerds, die zu Hause die alten Beatles und Beach Boys Platten ihrer Eltern entdeckt und nach einem ordentlichen Pilzmahl eine Platte eingespielt haben. Und zum anderen an einer musikalisch dünne und angestrengte Umsetzung, die mir das Gefühl verleiht, dass sich das komplette Album auf der Stelle bewegt und nicht in die Gänge kommt. Allerdings könnte die Platte auch in einem Wellness-Tempel laufen, sie plätschert wie warmes Wasser auf hellblauen Kacheln. Früher hätte man daraus einen Chillout-Sampler gemacht und Songstrukturen höre ich fast keine. Das bemerkenswerteste aber ist, dass die Tracks beim wiederholten Anhören immer neue Formen und Strukturen annehmen zu scheinen. Das Album wächst quasi, mit jedem Song, mit jedem Durchgang – bin mittlerweile bei 22.

Von hier bis zur Selbstverliebtheit ist es ja auch nicht weit. Dazu ist es dann doch zu überkandidelt. In gewisser Weise wirkt Merriweather Post Pavilion immer noch ziemlich verkopft auf mich. Zu überlegt und durchdacht, trotz aller Freude und der positiven Vibrationen, die zweifellos von dieser Musik ausgehen. Die Musik ist körperlich, mit markanten Bässen; sie ist das Gegenteil von „verkopft“. Ich würde mir eher wünschen, dass der ein oder andere Hörer etwas „verkopfter“ wäre und mehr Fähigkeit zur Selbstreflexion an den Tag legen würde, dann wäre zumindest dieser immer wieder gebrauchte Totschläger ausgemerzt.

Man muss die Musik aber schon ziemlich leise hören, um sie als „Geplätscher“ wahrnehmen zu können – für andere war es ja „zu viel“, eine „Reizüberflutung“. Und das Album sollte als LP gehört werden. Was ist denn das für ein Unsinn? Auf dem Vinyl ist doch das gleiche Geplätscher! Wer echauffiert sich denn da? Du – und deshalb bist Du etwa 1mm von meiner blütenweißen Ignore-List entfernt.

AC legen in ihrem Hippiezeugs Schicht auf Schicht, nur um zu beweisen, daß technisch alles möglich ist. Es geht um Klangtexturen; der Sound ist dicht, vielschichtig, ear-dazzling, „repetition repetition repetition“ und pendelt neben Euphorie und Selbstvergessenheit. Und Transgression. Vielleicht kann niemand so überzeugend Transgression verkörpern wie Animal Collective, weil ihr existenzieller Einsatz so viel geringer ist. David Portner, Brian Weitz und Noah Lennox, so gaben sie sich zumindest in Interviews zu erkennen, sind Mittelschichtsheteros mit Freundinnen und Familien, die studiert haben und mal in einem Plattenladen angestellt waren – einer hat auch mal für das amerikanische Umweltministerium gearbeitet. Bei wenigen dürfte der Wunsch nach einer künstlerischen Durcharbeitung der Transgression, nach einem musikalisch sublimierten Angriff auf die Identität als heterosexueller, weißer und männlicher Musiker so drängend sein wie bei heterosexuellen, weißen und männlichen Musikern (und niemand dürfte das so lieben wie heterosexuelle, weiße und männliche Kritiker). Diese Genderscheiße kommt aber eigentlich immer nur von pseduoengagierten Politmusiknerds, die sexuelles Notstandsgebiet sind. Die sexualisieren alles, weil sie selbst keinen Sex haben. Idioten.

MPP ist, Gott seis gedankt, keins dieser unzähligen Alben, die in 5 Sekunden die vergangenen 100 Jahre entwerten, sondern Hippiegeschwurbel mit Elektronik unterlegt und drauf sind schlechte Brian-Wilson-Kopien. Da greife ich doch lieber zum Original und höre Pet Sounds. Wenn diese Platte nur Kopf ist, dann bin ich von mir aus kopflastig. Der optimistische Grundton mag hinzukommen. Ansonsten hinkt der Vergleich natürlich gewaltig. Wenn nicht aber durch jeden weiteren Hördurchgang die Erkenntnis reifen würde, daß dies für mich eine der wichtigsten LPs dieses Jahrzehnts werden könnte, würde ich sagen: das hier ist keine Kopfmusik, sondern Musik für Bauch und Bein. Und Herz.

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