Re: 13. -15. August 2009 26. Haldern Pop Festival

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sebsemilia

Registriert seit: 09.07.2002

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kaesenAllerdings ist das ja auch der größte Kritikpunkt in diesem Jahr: Es ging allgemein zu ruhig zu, es gab zu viel Hörmusik und zu wenig Tanz- und Zappelmusik. Das hat die Freude – insbesondere an NATW, auf die ich mich auch sehr gefreut hatte – doch sehr getrübt.

sehe ich auch so, es war zu gleichförmig, unaufgeregt und nicht abwechslungsreich genug. kann aber nur für die hauptbühne sprechen, im zelt war ich nur ein mal am donnerstag.

schon komisch, dass im programmheft steht, für das zelt würden nur unbekannte bands gebucht, die würden aber schnell mal zum nächsten hype und deshalb sei das zelt oft überfüllt. müsste man ja eigentlich erst mal sagen: genau das ist (auch) der job, wenn man bands für ein festival bucht. Aber es haben eben nicht nur geheimtipps im zelt gespielt, sondern immer mal wieder auch größere bands, dass passt aber wohl nicht in die argumentation.

Könnte aber sein, dass diese jahr auch die zelt bands schwächer waren und es deshalb keine lange schlangen gab. Dazu noch die hitze und der ärger der letzten jahren. Immerhin: die Leinwand ist nicht schlecht, warum es sie nicht schon vor jahren gab, bleibt mir ein rätsel.

hier mal ein persönlicher haldern-rückblick eines bekannten:

maxSchön schaurig, das Bild: Genüsslich langsam kippt das Dixie-Klo nach vorne, fällt schließlich mit einem leichten „Wumms“ auf die Eingangstür. Es bedarf der Hilfe vierer tatkräftiger Gentlemen, um das mit Toiletten-Inhalt übergossene Mädchen aus seiner misslichen Lage zu befreien.

Als der erste Schockmoment überwunden war („Sie lebt noch!“ „Ui, krass, wie das stinkt!“), hattest du, geliebtes Haldern-Festival, deine Geschichte. Es war schon dunkel und so die Gefahr groß, dass zu Wenige das Ereignis mitbekommen hatten. Wir rannten also sofort zu unseren Oldenburger Nachbarn, die sich zu helfen wussten: „Ich leih mir dahinten deren Megaphon aus, damit könn’ wir’s rumerzählen!“

Welche Geschichten hätte man auch sonst erzählen sollen? Die von tollen Konzerten überraschender Bands? Dafür ist das Haldern eigentlich bekannt. Doch dieses Jahr war allerorten vor allem Resignation zu spüren: „Ich freu mich eigentlich auf kein Konzert so richtig“, „Wir haben uns extra viel Bier und zu Grillen mitgenommen, dann können wir länger auf dem Zeltplatz bleiben.“ Das sechsundzwanzigste Haldern: Ein Zwischen-Ding mit einem denkbar mittelmäßigen Zwischen-Line-Up. Vielleicht, damit sich die angeblich verschuldeten Veranstalter gesund stoßen können? Vielleicht, weil die Festivalkonkurrenz zu groß, die großen Bands zu teuer geworden sind? Vermutungen machen die Runde, die Menschen ziehen sich zurück – auch noch aus einem anderen Grund: Das Spiegelzelt ist immer noch da.

Für die Nichteingeweihten: Das Spiegelzelt ist ein zwar schönes, rundes Zelt mit Circus- oder Varietécharakter. Doch es hat gleich eine ganze Reihe gravierender Nachteile: Es beinhaltet die zweite offizielle Bühne des 7000 Besucher starken Festivals und fasst nur 500 Personen. Bei Sonnenschein herrscht in ihm eine brütende Hitze. In den letzten Jahren hat sich überschäumend wütender Protest gegen diese Location breit gemacht: Weil sich vor Auftritten von Bands wie Lambchop, Kante oder Gisbert zu Knyphausen kilometerlange Schlangen davor bildeten und dem größten Teil des Publikums der Konzertgenuss so verwehrt blieb. Eine stümperhafte Leinwand mit noch stümperhafterer Soundanlage vor den Toren konnte kaum Abhilfe schaffen. Ein Problem unserer Generation – vor kurzem war das noch im SZ-Magazin nachzulesen – ist jedoch: Wir lehnen uns gegen das Unrecht nicht mehr auf, sondern ziehen uns auf uns selbst zurück. Posten mal was im Facebook: „Scheiß-Spiegelzelt!“

Lasst uns doch diese liebenswerte Schrulle, schrieben die Haldern-Chefs zur Diskussion darum im diesjährigen Programmheft. Sinngemäß: Wir lassen dort ja auch nur unbekannte Bands auftreten, die eigentlich niemand ernsthaft sehen können will. Von wegen! In diesem Jahr spielten da etwa The Temper Trap, Little Boots, Soap & Skin. Ach nein, Soap & Skin fiel ja überraschend aus. Was der Moderator übrigens mit keinem Wort erwähnte. Der Protest? Blieb aus. Keine konzertierte Aktion, aber auch keine Schlangen mehr vorm Spiegelzelt. Man ignorierte es gepflegt, saß auf dem Campingplatz, grillte still vor sich hin. Trank noch ein Bier, wenn die Späher kamen und berichteten: „Gerade Mumford & Sons gesehen – saugeil!“ „The Temper Trap, total super. Voll süß, der asiatische Sänger. Und wie die abgingen! Dass die nicht auf der großen Bühne gespielt haben…“. Tja.

Auf der großen Bühne regierte die neue Langsamkeit. Wenn man das Haldern tatsächlich noch als das visionären Hype-Messgerät bzw. aktuelles Stimmungs-Barometer der Indie-Poplandschaft begreift, dann scheint sich der Rückzug der Indie-Generation auf sich selbst auch in ihrer Musik wiederzuspiegeln: Bärtige Waldschrate wie die kanadischen Bon Iver werden da für ein radikal lahmarschiges Set gefeiert. Geradezu grotesk wirken die zwei Schlagzeuge auf der Bühne, die nur zur Verstärkung des Downbeats eingesetzt werden: „Wir sind langsam – bam, bam – merkt euch das!“ Noah and the Whale, auf die viele ihre Hoffnungen gesetzt hatten, schlagen in dieselbe Bresche: Vor zwei Jahren lieferten sie mit „Five Years’ Time“ noch einen der 34 britischen Sommerhits. Jetzt hat die Band endgültig eingesehen, dass dancen ja nun wirklich nicht mehr im Indie-Trend liegt. Und präsentierten ausschließlich neues Material, bei dem man mal ein paar Gänge runter geschaltet hat.

Das Haldern-Pop ist das beste Festival der Welt. Jahrelang lasse ich die Einlass-Bändchen an meinem Arm verrotten, damit das auch jeder mitkriegt und ich mich erinnern kann. Die Ankunft auf dem Zeltplatz ist wie nach Hause kommen – in ein besseres Zuhause. Alle Last fällt ab, Spannungen lösen sich. Ich soll mit zwei Pärchen zelten? Kein Problem. Wespen? Mir doch egal. Kuhfladen? Hat schon einer weg gemacht. Bier? Noch genug da. Grillanzünder vergessen? Geht auch mit Zeitung. Toll. Und da kommt auch schon ein grüner Käfer angefahren. Ein echter, alter, grüner Käfer aus dem Hause VW, ich werd verrückt. Mit einem Mädchen drin, das Musikjournalismus in Southhampton studiert und bei uns zelten will. Ich bin nicht mehr allein unter Pärchen.

Es ist schon fast unwahrscheinlich, was wir so alles weg grillen. Grillen ist wie ankommen, sich ein Terrain zu Eigen machen. Hier gehöre ich hin, hier esse ich mein Fleisch. Die Barbecue-Sauce ist noch aus dem Zehn-Liter-Eimer vom großen Ikea-Personalfest, Marion hat sie durch einen Trichter in eine Bio-Ketchup-Flasche umgefüllt. Richtig so, wir zeigen’s dem Biowahn. Wir rauchen Zigaretten, ziehen Joints durch und trinken Bier Bier Bier. In die Sonne wird ohne Creme gegangen. Das Haldern wollen wir ungefiltert und verstärkt genießen. Nur nachts, da kommen Ohrenstöpsel rein. Nebenan hören die nämlich HipHop – was das nun wieder soll? Aber war ja eigentlich abzusehen, wenn man sich im zweiten Jahr in Folge einen HipHop-Act als Headliner holt. Fettes Brot. Deren Hit „Jein“ läuft immer in der Chart-Disco meiner Heimatstadt, wenn sich dort zu Weihnachten alle wieder sehen: „Es ist 1996…“

Ich werde geweckt trotz Ohrenstöpsel. Marion muss zum Arzt. Also, die eine Marion. Die weiblichen Parts meiner beiden Pärchen heißen nämlich beide so. Das findet auch Nachbar Henning lustig, der uns jetzt alle nur noch mit Marion begrüßt: „Moin Marion, wollt ihr nicht mit Flunky-Ball spielen?“ –„Was soll’n das sein?“ –„Na, da stellt man sich in zwei Gruppen auf und muss mit einem Ball versuchen, die Bierflasche in der Mitte umzuwerfen. Hat man das geschafft, darf man so lange Bier trinken, bis die andere Gruppe sie wieder aufgestellt hat.“ Oder so ähnlich. Jedenfalls wird bei dem Spiel viel Bier getrunken und manchmal fallen nicht die Flaschen, sondern die Spieler um. Aber jetzt muss Marion erstmal zum Arzt. Wegen einer unangenehmen, eitrigen Geschichte an einer unangenehmen Stelle. Der alt eingesessene Arzt (einer von zweien in der Nähe vom Rewe) des niederrheinischen Dorfs Haldern gibt ihr eine Packung Antibiotika und einen guten Rat mit auf den Weg: „So zwei, drei Bier können sie trotzdem trinken.“ Welch ein Glück.

Abends treffe ich Miriam aus Münster und Wiltrud aus Wesel. Miriam zeltet jetzt nicht mehr, sondern wohnt mit zehn Gleichgesinnten in einer Ferienwohnung nahe des Geländes. Begeistert erzählt sie mir von einem neuen Festival im November an der Ostsee, wo alle Konzerte indoor sind und alle Besucher in Appartements oder Hotelzimmern untergebracht. Es gibt Schwimmbäder, Saunen, Massagen, allerhand so Wellness-Kram eben. Klingt gut. Und ihr schlagendes Argument: „Vielleicht gehöre ich da mal wieder zu den jüngeren Besuchern!“ Ja, auch ich habe Angst, bald zum alten Festival-Eisen zu gehören. Unverschämt junge Menschen springen hier herum auf dem Haldern. Teile ich mit denen überhaupt noch dieselbe Lebenswelt?

Wiltrud aus Wesel ist zwar noch ein paar Jahre jünger als ich, teilt aber den Hang zur Melancholie. Auf dem Festival hat sie Glück und gehört zu den jüngsten in ihrer Gruppe. „Ich bin das Küken“, sagt sie und strahlt mich an. Trotzdem liegen wir einige Zeit später auf dem Rücken und blicken melancholisch in den Sternenhimmel. Direkt neben dem doofen Spiegelzelt, was durch diesen geschickten Kniff mal wieder vollkommen ausgeblendet ist. „Vorhin habe ich was rotes vom Himmel fallen sehen“, berichtet Wiltrud. „Das wird wohl eine Sternschnuppe gewesen sein?“, frage ich. „Nein, das war richtig groß und feurig und man sah es am helllichten Tag.“ –„Dann wird das wohl ein ausgewachsener Komet gewesen sein“, befürchte ich. Und um mir gar nicht ausmalen zu müssen, wie er vielleicht ein Zelt mit Festivalbesuchern oder den Kuhstall eines sympathischen Milchbauern getroffen hat, wechsele ich das Thema: „Wie heißt der Bürgermeister von Wesel?“
–„Ulrike Westkamp“, sagt Wiltrud, „von der SPD.“
Ich hätte lieber etwas anderes gehört.

Vieles ist nicht überliefert: Ob das Mädchen, das mit der Dixie-Toilette gestürzt ist, noch in die Dusche durfte, etwa. Ihr Missgeschick ereignete sich nämlich eine halbe Stunde nach Betriebsschluss. Ob nur ich oder auch die vielen unfassbar jungen Menschen eine Heilung durch den geraden Rolling-Stones-Rock’n’Roll von „The Soundtrack of Our Lives“ erfahren haben. Ob das in Southhampton Musikjournalismus studierende Mädchen sich auf der Rückfahrt im VW-Käfer getraut hat, einen Lastwagen zu überholen. Ob der McDonalds an der A3-Auffahrt Rees am Sonntag nach dem Festival den höchsten Umsatz des Jahres macht. Nur eins ist klar: Für das nächste Haldern werden wieder Tickets gekauft. So früh wie möglich. Und auf der Heimfahrt Abschiedstränen geweint.

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Look out kid You're gonna get hit