Re: Bob Dylan

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notdarkyet

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Wenn es denn dabei bleibt, dann spielt Dylan dieses Jahr 88 Konzerte und nähert sich damit wieder seiner Schlagzahl aus den 90ern. Alleine die Herbsttour-Europa besteht aus 41 Gigs in 51 Tagen. Eigentlich ein Fall für die Gewerkschaft… ;-)

Im Ernst:
Mich freut das natürlich und es ist bemerkenswert, dass es zu kaum einer „Marktsättigung“ zu kommen scheint. Er spielt kleinere Hallen, klar, und die Städte werden ganz klug gemixt. Die Sommer-Open-Air´s funktionieren immer, sind nahezu ausverkauft. Die Gesamtzahlen an Besuchern pro Tour bleiben auf konstantem Niveau seit 15 Jahren.

Ein kleines Beispiel aus Regensburg:
Sein erneuter Besuch freut mich besonders, ist ja meine Geburtsstadt. Zuletzt war er 2000 zu Gast. Da war ich natürlich auch und die Halle war halbvoll. Mein Ticket gab`s vor der Halle für 30 Mark. „Der muss ja fertig sein, wenn er schon nach Regensburg kommt“ und „Hat der Geldprobleme? Will ihn keiner mehr hören?“. War ein tolles Konzert (die 2000er waren eh alle gut) und das Regensburger Publikum war größtmöglich gespalten: Begeisterung und schwere Enttäuschung.

15 Jahre später: Große Aufregung in der Donaustadt. Die Regionalpresse ist entzückt, die Radiostationen melden das Gastspiel in Dauerschleife, als ob der Papst persönlich vorbeischauen würde (und sie sind nicht Mitveranstalter). Alte Regensburger Bekannte schreiben mir Mails und SMS „Dylan kommt!“ und nach 5 Stunden waren 1.000 Tickets weg.
Es freut mich, dass Dylan´s mehrfach geäußertes Credo, dass die Tour seine Arbeit ist die er mag und solange machen wird, bis die Leute ausbleiben oder das Leben dazwischen kommt, für ihn funktioniert.

„Tourneen können alles sein, was man hineininterpretieren möchte. Was ist denn so seltsam an Tourneen? Was ist so seltsam an dem Wunsch, live zu spielen? Wenn es etwas gibt, dann sagen Sie’s mir. Willie (Nelson) spielt auch schon seit Ewigkeiten, doch niemand fragt ihn, warum er immer noch tourt. Man fährt an verschiedene Orte und lernt verschiedene Dinge kennen, die man nicht kennengelernt hätte, wenn man zu Hause geblieben wäre. Und man hat die Möglichkeit, für die Leute Musik zu machen – Leute aller Nationalitäten, Leute aus den verschiedensten Ländern. Fragen Sie jeden Performer oder Entertainer, der etwas Ähnliches macht, und alle werden sie das Gleiche sagen: dass sie es einfach mögen und dass es den Leuten viel Freude bringt. Es ist letztlich wie jede Arbeit – nur anders.” Dylan, 2012.

Ein Grund, warum er die Hallen gerade jetzt kontinuierlich füllt, mag sein, dass viele Besucher ein letztes Mal den Kult Dylan erleben wollen. Das ist ein verständlicher Wunsch und die Leute haben hoch emotionale Verbindungen zum Künstler und seinem Schaffen.
Und genau da kommt Dylan´s Stärke als Performer und genauer Beobachter, als Perfektionist und Musikidealist, ins Spiel: Er schafft diesen Drahtseilakt zwischen Kult und Erneuerung, Crowd-Pleasing und Individualismus.
Sein „neues“ Set ist sein Herbstanzug. Ein Gewand, das erst auf den zweiten Blick sein Gespür für sein Publikum erkennen lässt. Den, ob der statischen Setlist, enttäuschten Vielfahrern entgegnet er ein augenzwinkerndes „My attempts to please you they were all in vain“ („Till i fell in Love with you“).

Ich persönlich mag seinen Herbstanzug und ertappe mich dabei, zu hoffen, dass er ihn möglichst lange tragen möge. Auch, weil ich in den letzten Konzerten die Reaktionen eines Teils des Publikums beobachten konnte: Die Menschen die Dylan zum ersten Mal oder nach langen Jahren zum ersten Mal wieder sehen, sind zumeist höchst beeindruckt und ein wenig verwirrt zu gleich. Die Zerbrechlichkeit und Melancholie von Dylans Performance, bei gleichzeitiger Professionalität im Showrunning, werden größtenteils goutiert. Das war ja bekanntlich nicht immer so.

Mal sehen, was Dylan bei der Herbsttour vor hat. Es bleibt ja unberechenbar. Vielleicht bleibt der Wintermantel ja noch ein paar Jahre im Schrank und wenn nicht, dann wird er uns das kurz und schmerzlos zur Kenntnis geben.

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