Re: Nikos Fave Tracks or The Songs That Saved My Life

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nikodemus

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BOB DYLAN – ’Cross The Green Mountain
OST: Gods & Generals 2003; Album: Tell Tale Signs 2008-10-08

Neben den wenigen Songs, die einen in Sekundenbruchteilen faszinieren und im Inneren berühren können, in denen man sich wünscht, dass der Song doch schnell vorbei gehen soll, so dass die Schönheit bloß nicht zerstört werden kann, gibt es noch seltenere Songs, in dem die Hoffnung mitschwingt, sie würden einen permanent begleiten und niemals enden. Spezialist Robert Zimmerman hat mehrere dieser unglaublichen Songs geschrieben und obwohl ich den aktuellsten Song noch nicht lange kenne, sei ihm allen Platz der Welt eingeräumt.

’Cross The Green Mountain schrieb Bob Dylan für Ronald F. Maxwells (auch: „Gettysburg“) episches „God & Generals“, einen drei bis vierstündigen Historienfilm über den amerikanischen Bürgerkrieg. Auch wenn der Film keine guten Kritiken bekommen hat und mit rund 12 Millionen nur ein Fünftel der Kosten eingespielt hat, gelang Dylan mit seinem Soundtrackbeitrag einen seiner größten Songs, für dessen vollständige Einordnung in sein Gesamtwerk ich aber noch Zeit benötige.

In 12 Vierzeilern träumt Dylan eine Geschichte eines Soldaten, der in den Krieg zieht, sich bewusst über den baldigen Tod und über seine Aufgabe, in diesem Krieg für sein Vaterland zu sterben. Das Großartige an früheren wie auch diesem Text ist Dylans Fähigkeiten in verschiedene Rollen zu schlüpfen, von der ersten in die dritten Person zu hüpfen, so dass man am Ende nicht weiß, ob Dylan über sich selbst, einen Soldaten oder über einen selbst singt. Dylans Art und Weise, wie er innerhalb einer Strophe seine Worte von etwas allgemeinen bis hin zu etwas speziellen transformiert ist unglaublich (zB. „the world ist old, the world is gray, lessons of life can’t be learned in a day – I watch and I wait and I listen while I stand, to the music that comes from a far better land).

Den Brückenschlag von einem Antikriegslied hin zu einem offenen Liebeslied, den Dylan in der allerletzten Zeile unternimmt, lassen die vorangegangenen 47 Zeilen in einem völlig neuen Licht erblicken. Ich glaube es war Greil Marcus der anlässlich der Veröffentlichung von „Time Out of Mind“ sinnbildlich sagte, dass man den frühen Dylan zwar nicht verstand, aber wusste was er meinte und dass es bei dem späten Dylan sich umgekehrt verhält. Doch ist das bei Dylan überhaupt wichtig?

Was den Song weiterhin so großartig macht, sind Dylans poetische Bilder, die einen bei jedem Hören mehr sagen, als es manch vierstündiger Film kann. Allein die Anfangssequenz, wie der Erzähler an einem Bach einnickt und etwas erblickt, was aus dem Wasser steigt und über das Land der Reichen und Freien fegt. Die Angst steht in seinen Augen, als er das Ungeheuer erblickt, während vor ihm Altare brennen und er seinem Ende entgegensieht. Und das ist erst der Anfang.

Und wer immer noch der Meinung sein sollte, dass Dylan nicht singen kann, der höre sich ’Cross The Green Mountain an. Dylan konnte schon immer Silben verschlucken, dehen und ziehen, räuspern und rülpsen und immer schien es zu passen, schien es seine Gedichte zu unterstreichen. Wie Dylan seine Stimme zu einem Stolz verhilft, während er über verblendete Soldaten „hoch zu Ross singt“, das ehrenhafte Flüstern bei der Umschreibung des sterbenden Captains oder beim Zuschauen des eigenen Todes, die mitfühlende Trauer in seiner Stimme, als er über den Moment singt, in dem die Mutter die Nachricht über die Verletzung ihres Sohnes bekommt, all das ist unlernbar und nur den größten Sängern vergönnt.

Musikalisch bewegt sich Dylans Band dazu in einem der Stimmung angepassten Trauermarsch oder einem „funeral feel“, wie es in den Linernotes steht. In Variationen von vier Akkorden und einem fast nicht von der Strophenmelodie zu unterscheidenden Refrain, kombiniert hier Dylan hinter Benmont Tenchs hintergründiger Orgel, Charlie Sextons sublimer Gitarre und vor allem Larry Campbells Violine seinen thin wild mercury sound und platziert ihn irgendwo zwischen der Desire-, Blonde On Blonde- und Time Out of Mind-Phase. Erinnerungen werden wach an ähnlich auf- und absteigende Melodien Dylans, wie Sad Eyed Lady Of The Lowlands, Is Your Love In Vain, selbst Like A Rolling Stone. Indem Dylan in einem Song alle seine Stärken unter einem Hut packt, gelang ihm mit ’Cross The Green Mountain eine auch im Dylankosmos unvergleichliche Großtat.

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and now we rise and we are everywhere