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Go1Erklär ihn doch mal kurz, wenn Du die Zeit dazu hast.
Zwischen Tür und Angel: Im Grunde genommen bezieht sich das ästhetische Urteil auf allgemeine Kategorien, das Geschmacksurteil hingegen auf den eigenen Geschmack: Ich finde Travis Panne, also ist das schlechte Musik. Prominenter Vertreter: Marcel Reich-Ranicki. Unterhaltsam, aber endlich und ungefähr so tiefreichend wie die Person, die sich bei öffentlichen Kritiken damit in die Waagschale wirft und sich damit inszeniert. Noch extremer: diese Musik ist langweilig. Nik Cohn verwendete das Geschmacksurteil-Argument „langweilig“ häufig in „AWoopBopAloobop…“, doch er versäumte nicht, weitere Kriterien anzufügen, die sein Urteil für andere nachvollziehbar und bewertbar machten. Zuerst kam der Holzhammer Langeweile, dann aber führte er aus: Janis Joplin konnte zwar ausdrucksstark wie keine Zweite singen, allerdings verpasste sie immer häufiger ihre Einsätze und trat besoffen auf und dergleichen. Sie brachte viel Seele in ihre Songs und konnte sie zerhauen wie nichts Gutes, später gingen die Songs nur noch auseinander wie Brei. In der Summe wurde es dann – langweilig. Ein ästhetisches Urteil bewegt sich im Rahmen von Kategorien, ähnlich wie Rossi einen Begriffsrahmen für den Pop aufzieht und dann checkt er etwa einen Metallica-Song danach ab, ob das guter oder schlechter Pop sei. (Update – Korrektur: ob das überhaupt Pop ist).
Für ein ästhetisches Urteil ist es aber nicht notgedrungen Bedingung, ständig ein „IMHO“ voranzuschieben oder ein „aus meiner Sicht“. Schon ein Verzicht auf übermäßige Geschmacksurteile – also Urteile, die nur auf dem eigenen Gefühl basieren („Johnny Cash ist niemals Pop!“ „Wieso?“ „Papperlapapp! Niemals!“) kann schon in der Unterscheidung helfen. Außerdem lassen sich ja sehr gut die Kriterien benennen und beurteilen („‚Oh, Sister‘ ist Bob Dylan textlich ja total entgleist. Sprach er zuvor den Frauen die Eigenständigkeit zu, gingen ihm in diesem Fall ja offenbar die Gäule durch und wenn die Frauen seinen Text hören, bleibt ihnen ja nichts anderes übrig als davonzurennen.“)
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Vor zwei Jahren gab es einen Kritiker-Streit zwischen Gnostikern und Emphatikern. Das war ein ähnlicher Fall. Die Gnostiker (ästhetisches Urteil) wurden von den Emphatikern (Geschmacksurteil, die mit der heiligen Empfindung als Kriteriumskompass) bezichtigt, nichts zu empfinden. Gnostiker: Ulrich Greiner. Emphatiker: Volker Weidermann (hüstel).
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Tout en haut d'une forteresse, offerte aux vents les plus clairs, totalement soumise au soleil, aveuglée par la lumière et jamais dans les coins d'ombre, j'écoute.