Re: R.E.M. – Oberhausen

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sokrates
Bound By Beauty

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Zum Konzert in München, aus dem Musikalischen Tagebuch:

Sokrates@ Nail:

Da kann ich Dich beruhigen: Es hat mir gefallen! Das Repertoire ist ja quasi unkaputtbar, der Sound war erstaunlich gut (nicht zu laut, Stipes Gesang schön weit vorn), und ganz fein war auch die Bildregie der Videowand. Die musikalischen Schwächen waren nicht zu verbergen, aber die Stärken wurden umso prominenter präsentiert und haben alles andere kompensiert. Stipes markanter Bariton, Mills hohe Backing-Vocals und Bucks Rickenbacker-Rhythmusgitarre waren voll da, und das macht R.E.M. aus.

Dass Buck ein Gichtfinger ist, der besser nie mehr in seinem Leben ein Solo spielen sollte, wussten wir schon vorher, und dass man von einem Bassisten, der den Bass nicht zupft, sondern wie eine Rhythmusgitarre schlägt, keinen knackigen Sound erwarten kann, hat sich im Sound erstaunlich und erfreulich gering ausgewirkt. Zum Glück trommelt Bill Berry nicht mehr, der hat ja notorisch geklappert, und der Sideman (Waronker?) geht wie ein Uhrwerk.

Und sonst: R.E.M. sind gar keine Rockband, dazu sind die meisten Stücke viel zu zart und filigran. Als etwa „South Central Rain” und „Time after Time” gespielt wurden, wurde mir schlagartig klar, wie ungeeignet eine Riesenhalle wie die Olympiahalle eigentlich ist. Da gehen diese intimen Stücke fast kaputt. Bin froh, dass ich sie nie in einem Stadion sehen musste – da geht wahrscheinlich alles flöten.

Ebensowenig kann Stipe auf der Bühne so was ein Springsteen sein, wie hier im Forum verschiedentlich gefordert wurde: Wie soll so ein introvertierter, sensibler Schwuler den breitbeinigen Rocker machen? Geht doch gar nicht. Immerhin sitzt er nicht mehr wie auf der Document-Tour im Schneidersitz auf der Bühne. Was man allerdings als Endvierziger auch nicht machen sollte: Sich in seltsamen Posen verrenken – das wirkt doch albern. Gilt analog für Buck und Mills: Die sind am glaubwürdigsten, wenn sie stehen und nicht den Hampelmann machen.

Das Publikum war lahm, fand es aber trotzdem ganz gut. Um mich auf der Tribüne herum zufriedene Mienen, aber fast keine Reaktion. Dass neuere Tracks weniger Begeisterung auslösen als alte, hat einen einfachen Grund: Sie sind nicht so gut. Ein Stück wie „Imitation of Life” ist so eine lahme Reißbrettnummer, dass sich R.E.M. dafür eigentlich schämen müssen. Zum Glück war das Repertoire sehr ausgewogen zusammengestellt, und neben den schon genannten Tracks waren Stücke wie „Drive” oder auch „Losing My Religion” (oh ja) Highlights. Aber auch „Orange Crush” und „Ignoreland” kamen gut an.

Dass Musiker in Kleidungsfragen oft einen schlechten Geschmack und einen schrägen Humor haben – Schwamm drüber. Deshalb sage ich weder was zu den Bühnenklamotten noch zu den Oktoberfesthüten. War bestimmt komisch gemeint. Insgesamt ein unterhaltsamer Abend! Wir geben zurück ins Funkhaus. :lol:

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„Weniger, aber besser.“ D. Rams