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Emmylou Harris
Die Glaubwürdigkeit des Singvogels
19.09.2008 – aktualisiert: 19.09.2008 09:58 Uhr
Stuttgart – Das Stuttgarter Publikum traut am Donnerstag in der Liederhalle seinen Ohren nicht: Für Billy Joe Shavers „Old five and dimers like me“ auf ihrem neuen Album habe ihr lange Zeit die nötige „crediblility“ gefehlt. Sagt ausgerechnet Emmylou Harris, die wie kaum eine andere jene alte Weisheit verkörpert, Country Music sei nichts als „three chords and the truth“. Und die gerade mit ihrer Würde, ihrer Glaubwürdigkeit 1800 Zuhörer stehend applaudieren lässt.
Schon als Mitte der 70er Jahre Musikredakteure reihenweise von Emmylou Harris schwärmten, schienen sie nicht allein ihrer Stimme erlegen, diesem damals noch glockenhellen Sopran, der der US-Sängerin den Beinamen „Songbird“ bescherte. Ebenso wichtig für ihre Akzeptanz bei der Rock-Kritik dürfte ihre Glaubwürdigkeit gewesen sein, eine nicht hinterfragbare Verwurzelung in dem, was heute „Americana“ genannt wird. Auch wenn deren Bestandteile Country und Bluegrass damals beim Rockpublikum beileibe noch nicht derart akzeptiert waren, wie sie es heute sind.
Heute, mit 61, kann Emmylou Harris, „eine der schönsten Stimmen in der amerikanischen Populärmusik“ („Neue Zürcher Zeitung“), auf zwölf Grammys verweisen, auf 15 Millionen verkaufter Tonträger und eine trotz aller Erfolge immense Rock-Reputation ebenso wie auf die Mitgliedschaft in der Country Hall of Fame. Eine grauhaarige „grand old lady“ jenseits aller Stilkategorien, die für den Keith-Richards-Kumpel Gram Parsons ebenso Songs schrieb wie für Mark Knopfler und Duette mit Neil Young, Bob Dylan oder Johnny Cash einspielte.
Und doch zählen solche Verdienste und Verbindungen, selbst Werte wie Würde und Wahrheit im Beethovensaal nicht allein, sondern wieder mal diese besondere Singvogel-Stimme. Die Zuhörer erliegen einmal mehr dem, was mancher als Mysterium bewertet, ein anderer als traumhaft sichere Technik der Stimmführung und Phrasierung.
Die Band ist es an diesem Abend nicht. Emmylou Harris ließ sich schon von vielen Rock-Legenden begleiten. In Stuttgart, einer von drei Deutschland-Stationen, tritt sie mit fünf unspektakulär aufspielenden, wenngleich versierten Musikern auf, darunter Colin Linden (Gitarre) und Rickie Simpkins (Mandoline, Geige). Die Harris singt deutlich dunkler als früher, auch kräftiger und durchdringender. Ihre Cowgirl-Stiefel sind state of the art, Nashville style, aber die Musik ist viel älter, wächst auf Bluegrass-Boden mit ihren Akustik-Arrangements.
Oder sie ist neu insofern, als viele Songs ihren letzten Alben entstammen, viele von ihr selbst geschrieben, andere gewohnt geschmackvoll gecovert. Neu ist ebenfalls, dass sie nicht bisweilen auch mal „harmony vocals“ beisteuert, sondern ausschließlich ihre männlichen Begleiter, während sie der Lady die Leadstimme lassen. Damit Emmylou Harris, der Singvogel, seine berückende Stimme fliegen lassen kann. Eine Stimme, der wir gerne alles glauben. Außer dass ihr für irgendetwas die „credibility“, die Glaubwürdigkeit fehlen könnte.
Von Michael Riediger
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Man braucht nur ein klein bisschen Glück, dann beginnt alles wieder von vorn.