Re: Be Here Now – Wie wichtig ist Euch Aktualität?

Startseite Foren Kulturgut Das musikalische Philosophicum Be Here Now – Wie wichtig ist Euch Aktualität? Re: Be Here Now – Wie wichtig ist Euch Aktualität?

#6780863  | PERMALINK

go1
Gang of One

Registriert seit: 03.11.2004

Beiträge: 5,645

mojoclubes werden keine neuen, scharfabgegrenzten musikstile geschaffen, sondern nur andere sounds. und so kennzeichnet die existenz der independent musik heutzutage die suche nach etwas neuem in der vergangenheit.
seit bald vierzig jahren renoviert sich die rockmusik alle jahre neu, seit der techno/house-bewegung hat es keinen neuen musikstil in der popmusik gegeben. alles was seit den siebziger jahren erschienen ist, sind variationen und verfeinerungen, neuauflagen (retro) und vermengungen.

Das ist ein guter Punkt, wenngleich die Entwicklung und Ausdifferenzierung der elektronischen Tanzmusik bis hin zu Microhouse und Glitch erst in den 80ern und 90ern stattgefunden hat. Aber im aktuellen Jahrzehnt ist wenig Bewegung drin; es gab noch Grime und Dubstep und sonst hauptsächlich Retrotrends. Keine besonders spannende Zeit.

Jan RoseAt the end of the day: Jede musikalische Schublade ist eine Erfindung irgendwelcher Musikjournalisten und oft mit verheerenden Auswirkungen. Dann wird Pulp oder Divine Comedy auf einmal zu Brit Pop, obwohl Erstere seit den 80s sich erfolglos im Indiebereich getummelt haben und Neil Hannon eher als von Scott Walker beeinflusst einzuschätzen ist. Manche Menschen scheinen Schubladen zu brauchen und „Indie“ war für mich bisher immer eine gute Einteilung, um grob zu wissen, wohin die Reise geht. Die von Firecracker aufgezählten Bands sind zudem für mich Indie.
Die Schublade sollte nur eben nicht zur Scheuklappe werden. Wie die Richtung einer bestimmten Musik heisst, ist an sich völlig egal. Hauptsache es ist gute Musik. Es dient nur der groben Orientierung.

Das kann ich gut verstehen. Aber noch eine kurze Anmerkung zu firecrackers Liste:

firecrackerheutige indie-bands sind the coral, cloud cult, lemonheads, goodbooks, good shoes, noah and the whale, mojave 3, aztec camera, black kids, fleet foxes, the hazey janes, islands, last shadow puppets, love as laughter, final fantasy, beirut, littl’ans, vampire weekend, white rabbits, ra ra riot, nada surf, um nur einige wenige zu nennen.

Um mal zwei Bands herauszugreifen: Good Shoes und Fleet Foxes veröffentlichen wohl beide auf Indie-Labels (falls Brille ein Indie-Label ist, ich weiß das nicht so genau), aber musikalisch hat der verhallte „Kammermusikfolkpop“ (Clau) der Fleet Foxes mit dem unproduziert wirkenden Artschool-Punkpop der Good Shoes überhaupt nichts gemeinsam. Wenn beide Bands „indie“ sind, dann zeigt das nur: „Indie“ ist kein Genre, sondern nur ein Sammelbegriff. Und da fragt sich mancher, ob man den wirklich braucht. (Zu den Lemonheads beispielsweise könnte man ja auch sagen: College-Rock-Szene Boston; anfangs Hardcore, dann Powerpop.)
Mit „Indie“ war immer eine Abgrenzung vom Mainstream verbunden (z.B. war Indie-Pop/Anorak-Pop/C86 in den 80ern ein Gegenentwurf zum perfekt produzierten Soul-Pop in den Charts). Aber was ist dieser Mainstream heute, wogegen grenzt man sich ab, wenn man sich (heute noch) mit „Indie“ identifiziert? Ist das nicht eine Geste von früher?

Heute bezeichnet der Titel „Indie“ ein Scheingenre, mit dem viele Leute eine ungefähre Vorstellung verbinden (songorientiert, gitarrenlastig, jung, britisch und auf dem Weg nach oben…). Aber man muss bei dieser Praxis ja nicht mitmachen. Die Leute, die noch Radio hören, wissen auch ungefähr, was mit „Classic Rock“ gemeint ist, aber das ist kein Grund, Led Zeppelin jetzt unter Classic Rock statt unter Hard-Rock einzuordnen und mit Jimi Hendrix in einen Topf zu werfen.

--

To Hell with Poverty