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Ich habe keinen eindeutigen Thread zu dem Thema gefunden. Daher mache ich mal einen auf.
Anlass ist ein Artikel aus der Berliner Zeitung von heute (15.9.09).
Hier riecht es nach Senatsrockwettbewerb
Popmusik braucht keine staatlichen Subventionen. Oder doch? Und wie sollten sie aussehen?
von Berthold SeligerEs stand in der gleichen Woche in den Zeitungen: Die Bundesregierung genehmigte dem angeschlagenen Quelle-Konzern mal eben 50 Millionen Euro für den Druck eines Katalogs – und Kulturstaatsminister Bernd Neumann brüstete sich damit, dass in den Regierungsentwurf zum Kulturhaushalt 2010 für die sogenannte Initiative Musik ganze 1,5 Millionen Euro eingestellt wurden (im Gegensatz zu 1 Million im Jahr 2009). Genauer hätte man kaum auf den Punkt bringen können, was der Politik die Popmusik wert ist: etwa ein Dreißigstel eines Versandhauskataloges.
Die Initiative Musik ist eine 2007 gegründete Fördereinrichtung der Bundesregierung für die Musikwirtschaft; im Aufsichtsrat sitzen Funktionäre wie der Cheflobbyist der deutschen Tonträgerindustrie, Dieter Gorny, oder Mark Chung, der Vorsitzende des Verbandes unabhängiger Musikunternehmen. Gefördert wird ein Gemischtwarenladen aus Bands mit Namen wie Luxuslärm oder KG Schlachthofbronx; aber auch die Chartsband Polarkreis 18, deren Alben beim weltweit größten und reichsten Major, nämlich Universal Music, erscheinen. In gewisser Weise ist die Initiative Musik also eine in ihrer finanziellen Dimension lächerliche Fortsetzung von Senatsrockwettbewerben mit anderen Mitteln – und wer eine Ahnung haben möchte, wie fürchterlich das ist, der spreche das Wort „Senatsrockwettbewerb“ langsam und laut vor sich hin. Wer so etwas gewinnt, der hat ganz sicher keine Zukunft in der Welt des „Pop“ vor sich, und das ist gut so.
Wer braucht diesen Subventions-Pop, der tatsächlich so langweilig ist wie das Wort suggeriert? Fragen wir besser: Wem nützt dieses Fördermodell? Natürlich handelt es sich einerseits um eine Umarmungsstrategie, eine „Einbindung“ subversiver Potenziale. Ein wesentlicher Teil der Fördersumme wird andererseits dazu aufgewandt, deutscher Popmusik im Ausland zu mehr Beachtung zu verhelfen: Es geht um Protektionismus. So schickte die Initiative Musik 2008 deutsche „Branchenvertreter“ zu „Wirtschaftstreffen“ in sechs chinesische Städte und organisierte in Guangzhou ein Forum „Musikmarkt in Bewegung / Musikmarkt der Zukunft“. Laut Dieter Gorny ging es dabei darum, „erste Geschäftskontakte von Unternehmen der Musikwirtschaft aus China und Deutschland anzubahnen, um nachhaltige wirtschaftliche Verbindungen zu knüpfen“. Aktuell fordert die Initiative „alle Bundesländer auf, sich mit Blick auf die Musikmesse SXSW in Texas, USA, und die EXPO in Shanghai, China, aktiv an gemeinschaftlichen Projekten in 2010 zu beteiligen“. Deutsche Bands sollen also auf Staatskosten in Texas und Shanghai spielen. Aber warum? Sven Regener von der Band Element Of Crime sagt: „Wir machen deutsche Popmusik, das interessiert noch in Österreich und der Schweiz, und sonst braucht das niemand.“ Deutsche Popmusik spielt im Ausland kaum eine Rolle, und das wird man auch mit den schönsten Exportsubventionen nicht ändern können. Wenn Popmusik gut ist, wenn sie ein Lebensgefühl artikuliert, setzt sie sich weltweit durch – wenn nicht, eben nicht. Oder kann sich jemand vorstellen, dass die Rolling Stones einen Förderantrag beim britischen Kulturminister gestellt hätten, um weltweit „Satisfaction“ oder „Street Fighting Man“ erklingen zu lassen?
Soll der Staat die Popmusik fördern? So jedenfalls nicht. Aber wie dann? Gerne wird das Modell Frankreich gerühmt, das Jacques Lang im Auftrag von Mitterrand in den 80er- und 90er-Jahren entwickelte. Doch werden hierzulande nur die wenig kostenrelevanten Bausteine herausgepickt wie eben die Exportförderung oder die unsägliche Radioquote für deutsche Musik. Dabei war der wesentliche Baustein dieses Konzepts eine umfassende Spielstättenförderung und eine soziale Absicherung von Künstlern. Genau hier könnte eine Förderung von Popkultur ansetzen, die diesen Namen verdient. Mit einer nennenswerten strukturellen Förderung (lassen Sie uns nicht über Almosen reden – man könnte mit 50 Millionen Euro beginnen, dem Betrag, den die Politik für den Druck eines Versandhauskatalogs zum Fenster hinaus geworfen hat!) könnten soziokulturelle Zentren vernünftig ausgestattet werden: mit Ton- und Lichtanlagen, Übungsräumen, Anbindung an örtliche Musikschulen usw. Verbessert man die Bedingungen, unter denen Popkultur entsteht, kann man diese danach getrost sich selber überlassen.
Zu diesen Bedingungen gehört auch die soziale Absicherung von Künstlern. Aber statt etwa die Kürzung des Bundeszuschusses zur Künstlersozialkasse, die Rot-Grün im Jahr 2000 vorgenommen hat, rückgängig zu machen, brüsten sich bundesdeutsche Politiker mit den 1,5 Millionen Euro für die Initiative Musik – wer noch bei Verstand ist, kann eigentlich nur deren sofortige Abschaffung fordern.
Ein wichtiger Faktor wäre allerdings auch, die etablierten Spielstätten der Zeitkultur zu öffnen. Sehen wir nur einmal nach London: Lambchop, Tortoise oder Emiliana Torrini finden sich ganz selbstverständlich im Programm der Royal Festival oder Queen Elizabeth Hall neben Konzerten des London Philharmonic Orchestra. In Deutschland hingegen müssen Konzertveranstalter für teures Geld Spielstätten wie die Berliner Philharmonie anmieten, um dort Konzerte dieser Bands stattfinden zu lassen. Man muss sich diese Absurdität einmal vorstellen, dass der Käufer eines Tickets einen Aufpreis zahlt, um seine Lieblingsband in der Philharmonie zu sehen, während er diese mit seinen Steuergeldern längst schon mitfinanziert hat. Zum Vergleich: Während die bundesweite Popförderung der Bundesregierung 1,5 Millionen Euro wert ist, werden allein die Berliner Opern jährlich mit 118,4 Millionen subventioniert.
Dieser Zustand ist offenkundig ungerecht, aber historisch verwurzelt: In keinem anderen vergleichbaren Staat herrscht eine derart ausgeprägte Unterteilung von E- und U-Musik. Im Gegensatz etwa zu England gab es in Deutschland nie ein bedeutendes städtisches Wirtschaftsbürgertum, die Musiker waren Angestellte von Feudalherren oder der Kirche, die allermeisten Schriftsteller waren Staatsbedienstete, die Philosophen Beamte. Dieses feudalistische Kunstverständnis wirkt bis heute weiter: in der einseitigen Subventionierung der „Hochkultur“ ebenso wie in dem verfehlten „Staats-Pop“-Verständnis der Initiative Musik. Beides wird so leicht nicht aus den Köpfen von Politikern, Kulturfunktionären und Künstlern zu vertreiben sein.
Berthold Seliger ist Konzertveranstalter in Berlin; zu seinen Künstlern zählen u.a. Lou Reed, John Cale, Patti Smith, Lambchop und Calexico.
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