Startseite › Foren › Kulturgut › Das musikalische Philosophicum › Deutschsprachige Musik › Re: Deutschsprachige Musik
Ein paar Gedanken zum Thema Musik/Lyrik, deutsche und englische Sprache.
1. Die englische Sprache hat tatsächlich im Prinzip einen größeren Wortschatz als die deutsche (ungefähr doppelt so viele Worte). Zum einen durch die historische Anlage, in der viele Begriffe mit gleicher Bedeutung sich sowohl aus dem Germanischen (Angelsachsen) als auch aus dem Romanisch-Französischen (Normannen) ableiten, ein übliches Beispiel: come back / return. Zum anderen auch durch die Tatsache, dass das Englische als wesentlich weiter verbreitete Sprache (> 1 Mrd Menschen) gegenüber dem Deutschen (~ 100 Mio) stetig neue Begriffe dazu bekommt – nicht nur fachspezifische übrigens. Insgesamt gilt das Englische als „experimentierfreudiger“ als das Deutsche, Substantive werden zum Beispiel viel leichter und schneller neu in Verben „übersetzt“, wenn es sich als Möglichkeit ergibt.
2. Die Größe des Wortschatzes relativiert sich jedoch duch die Tatsache, dass das Deutsche durch wesentlich mehr Komposita, also zusammengesetzte Wörter, gekennzeichnet ist. Man kann hingehen rangehen, weggehen, vorgehen, zurückgehen … es gibt auch den berühmt-berüchtigten Donaudampfschifffahrtskapitän … und und und. Durch diese Komposita ist die deutsche Sprache letztlich sehr viel genauer, bestimmter – und damit bedeutungsmäßig eingeschränkter – als das Englische. Das gleiche folgt aus den deutlich mehr Flexionszwängen im Deutschen, die sich sowohl aus Fällen als auch aus Geschlechtszuordnungen (der/die/das) ergeben. Die Sprache wird dadurch schwierig zu lernen und zugleich eindeutiger, wodurch aber umgekehrt die für lyrische Texte (und Songtexte allemal) wichtige Funktion der Mehrdeutigkeit und Assoziationsbreite beschränkter wird.
3. Die Phonetik des Deutsche ist tatsächlich unter anderem wegen der häufigeren harten und stimmlosen Verschlusslaute gegenüber Englisch recht „hart“. Imperative bpsw. klingen deutsch fast immmer wie gebellte Befehle, während sie im Englischen viel offener als durchaus nicht unhöfliche Aufforderung klingen können. „D(weich)o(langer u-Vokal) th(stimmhaftes S)e Mussolini!“ klingt einfach anders als „T(hart)anz(stimmloses, sehr hartes S) den Mussolini!“ Ersteres ist eine geradezu nette Aufforderung, letzteres klingt wie ein Erschießungsbefehl. (In dem – übrigens tollen – Lied „Marmor, Stein und Eisen bricht“ heißt es nicht umsonst „Dam dam“ und nicht „Tam Tam“.) Gegenüber Hindi, Chinesisch und vielen anderen vor allem asiatischen Sprachen stinkt da allerdings auch das Englische ab.
4. In Deutschland ist durch den Nazi-Faschismus eine fast komplette Durchtrennung der lyrischen Tradition erfolgt. Zum einen ging mit den vielen Toten und Emigranten auch viel Wissen um kulturellen Sprachgebrauch den Orkus hinunter, das sonst tradiert worden wäre. Zum anderen waren die wenigen „Dichter“, die geblieben und dem Regime gedient haben, komplett desavouiert. Verlierer verlieren auch die Autorität und den Glauben der Nachfolgenden an ihre Werte. Wer versteht denn in Deutschland noch wirklich etwas von Vers- und Reimformen, Silbenbetonungen, Sprach-Rhythmen? Wird das noch in der Schule gelehrt? Eher weniger. Das muss alles mühsam autodidaktisch erlernt werden, es gibt kaum eine „natürliche“ Weitergabe von Erfahrungen in dem Bereich außer dem einfachen Endreim, keine Tradition mehr außer einer diffusen Verehrung vergangener Dichter wie Goethe etc, meist ohne das verstanden wird, was daran eigentlich so gut und interessant ist – laut vorgelesen, deklamiert, gar öffentlich gesungen wird doch hier überhaupt nicht.
5. Und dennoch ist die Trennung von englischer und deutscher populärer Musik nicht wirklich qualitativ zu sehen. Neulich habe ich morgens zufällig im Autoradio hintereinander Rosenstolz und dann Duffy gehört. Lyrisch hat sich das nix genommen, musikalisch auch nicht, die Stimmen waren natürlich unterschiedlich, aber: Letztlich waren es eben beides populäre Lieder, Schlager, Smash Hits, Gassenhauer, wie auch immer man es ausdrücken mag. Völlig egal, ob auf Deutsch, Englisch, Hindi, Arabisch, Chinesisch, Suaheli oder sonstwie: Es geht doch eh meist um das Eine, die Liebe und ihr körperlicher Ausdruck. Die Musik ist oft einfach ein Vehikel zur Annäherung (Tanz, Auflockerung). Die Deutschen sehen das eben ein bisschen verkrampft, das ist alles. Man geniert sich, vor allem der etwas gebildetere und mit Moral überformte Mittelstand. Dem Prekariat ist’s dagegen eh egal, die hören und nutzen auch die Flippers oder sonstwen.
6. Insofern sollte man den Trennstrich nicht zwischen deutscher und englischer Musik ziehen, sondern wie immer zwischen guter und schlechter, und zwischen dem, was jeweils gefällt und was nicht. Wer Duffy hört, kann auch Anastasia oder Pink oder Rosenstolz oder Ich und Ich oder Xavier Naidoo oder R.Kelly oder P.Diddy oder Laith Al-Deen oder Sarah Connor oder US5 hören. Das nimmt sich qualitätsmäßig alles nix, kommt aus der gleichen Verschleimungswerkstatt von ProTools und Komprimierungswahn.
7. Es gibt durchaus gute populäre deutschsprachige Musik. Es gibt auch schlechte. Es gibt auch gute englischsprachige Musik – und auch schlechte. Ob sie einem darüber hinaus gefällt oder nicht, ist persönliche Geschmacksfrage: „Das ist meine Welt – und sonst gar nichts!“
--
The only truth is music.