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kramerUnsinn.
Ist klar. Die beste und erfolgreichste Popmusik müsste dann also aus Indien oder China kommen. Hast Du ein paar Tipps für mich?
Das halte ich ebenfalls für kaum haltbaren Schwachsinn. Meine Eltern haben in den 50er und 60er Jahren fast ausschließlich deutschsprachige Popmusik und Schlager gehört und in ihrem Freundeskreis sah es ähnlich aus. Dabei von Nischen o.ä. zu sprechen ist Humbug.
Ein paar Gegenargumente dürften es dann aber schon sein.
Es kommt auf die Generation an. Die große Zäsur waren natürlich die späten 1960er, was man häufig als 1968 bezeichnet. Natürlich gab es unterschiedliche Entwicklungen in verschiedenen Orten. Dennoch bricht mit den späten 1960ern eine neue Zeit in Deutschland an, die im Wesentlichen von den nach 1945 geborenen Menschen getragen wird. Und die haben mit deutschsprachiger Musik wenig am Hut, sondern hören die Beatles, die Stones und dann in der Folge eben die typische Popmusik der 1970er. Die Grenze ist natürlich nicht absolut, aber eine Tendenz. Es handelt sich aber natürlich auch nicht um alle Jugendliche, sondern im Wesentlichen um Studenten.
MikkoNail, in Deinem letzten Beitrag sind einige durchaus richtige Überlegungen angesprochen. Manches ist vielleicht wirklich typisch deutsch. Und die deutsche Geschichte hat natürlich auch Auswirkungen auf die Rezeption und den Umgang mit Popmusik hierzulande.
Aber einen weiteren wichtigen Punkt hast Du vergessen. Popmusik hat in Deutchland noch immer nicht den gleichen Stellenwert in der gesellschaftlichen und kulturellen Wahrnehmung wie in Großbritannien, USA oder sogar in Frankreich. Das hat viele direkte aber auch indirekte Auswirkungen.
M.E. ist auch die vergleichsweise geringe Zahl international konkurrenzfähiger Bands (nicht in technischer, sondern vor allem auch in künstlerischer Hinsicht) eine indirekte Folge davon. Wenn es als Jugendsünde gilt oder als nicht ernst zu nehmende jugendliche Schwärmerei, in einer Band zu spielen, dann wendet sich die Mehrzahl der jungen Musiker natürlich bald einem ernsten Beruf zu. Und die, die aus Überzeugung dabei bleiben, haben es dennoch ungleich schwerer als in Finnland, Schweden oder eben Großbritannien, anerkannt zu werden und gesellschaftlich akzeptiert zu sein. Das ist nur nicht so, wenn ein Musiker schnell kommerziellen Erfolg hat (wie etwa Tokyo Hotel). Dann gilt er als clever und geschäftstüchtig, aber seine künstlerische Leistung interessiert schon wieder kaum noch.
Es gibt hier einfach nicht genug Leute, wie die hier im Forum aktiven Musikliebhaber, die sich ernsthaft mit Pop- und Rockmusik beschäftigen und sie auch in der Weise, wie wir das gerade tun, diskutieren. Und ohne eine solches Publikum, ohne entsprechende Anerkennung, aber auch Kritik, kann sich eine lebendige hochwertige Szene gar nicht entwickeln.
Die verschiedenen deutschsprachigen Szenen, die es gibt, schmoren m.E. meist immer noch zu sehr im eigenen Saft. Wen interessiert denn, was in der Spex steht oder in der Visions? Mal abgesehen davon, dass da oft auch noch großer Unsinn steht.
Ich dachte, ich hätte darauf hingewiesen, dass die Popmusik in Deutschland schon immer unter einer sehr kritischen Haltung des Bildungsbürgertums gelitten hat. Egal, natürlich ist der Stellenwert in FR, GB, USA ein anderer, zumal es dort keine vergleichbare Tradition klassischer Musik gibt, jedenfalls nicht in dieser Breite. Das gilt übrigens auch für Comics, die in Deutschland als Kinderkram gelten, während sie in Frankreich bis in die höchsten Bildungsschichten gerne gelesen werden.
Die Charakterisierung des Problems, das viele deutsche Bands betrifft, empfinde ich als sehr treffend. Die Anzahl derjenigen, die sich ernsthaft mit Musik beschäftigen ist gar nicht so klein, aber es fehlt dann doch an einer allgemeinen Popkultur, der wie gesagt mit Misstrauen begegnet wird. Und in der Tat die Abtrennung zwischen einzelnen Szenen, die Zersplitterung in Klein- und Kleinstgruppen schadet natürlich. Ich denke aber doch, dass sich in Deutschland langsam wirklich eigenständige Popmusik ausbildet, aber natürlich ist die Breite noch nicht besonders groß.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.