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Die neue Musik aus dem UK und den USA, die unter dem Banner „Punk“ und dann auch „New Wave“ nach Deutschland schwappte, führte zu einer seit den 60ern nicht mehr da gewesenen und heute kaum noch nachzuvollziehenden Verunsicherung und Abwehrhaltung in den Feuilletons und der halbwegs etablierten Musikszene. Beliebte Vorwürfe waren, die können nicht spielen, die sind alle verkappte Nazis und ähnlicher Bockmist. Auch die deutsche Linke tat sich sehr schwer mit dem Punk. Gerade in der linken Presse wurden immer wieder die Nazi Vorwürfe und die angebliche Frauenfeindlichkeit der Punks kolportiert.
Was in den späten 1970er Jahren in Düsseldorf, Hamburg, Hannover, Berlin, München und vereinzelt auch noch anderswo an neuer Musik im Untergrund entstand, das lässt sich natürlich einerseits nicht alles über einen Kamm scheren, und es war auch nicht alles deutschsprachig. Die einzelnen Szenen standen auch durchaus in Konkurrenz zueinander bzw. grenzten sich voneinander ab. Hamburg und Hannover, zum Teil auch München, waren eher Punk orientiert in dem Sinne, dass britischer Punk mehr oder weniger kopiert wurde und eventuell mit Texten in der Muttersprache versehen. In Düsseldorf dagegen nahm man die Wucht und die Energie des Punk nur zum Anlass, etwas Eigenes zu entwickeln, das schon anders war und dabei viel deutscher, ohne auf deutsche Musiktraditionen direkt zurückzugreifen. Mittagspause, S.Y.P.H., DAF, ZK leisteten in gewisser Weise Pionierarbeit. In Berlin gab es einerseits die stark an angloamerikanischen Vorbildern orientierte Szene mit Bands wie PVC, Tempo, Ffurs und später White Russia, die natürlich alle Englisch sangen. Andererseits gab es eine eher avantgardistische Szene, die bald unter dem Signum Geniale Dilettanten zusammengefasst wurde. Dazu gehörten Geile Tiere, P1E, Din A Testbild, Einstürzende Neubauten, Frieder Butzmann, Mania D u.a. Und schließlich gab es noch die Kreuzberger Anarcho Punk Szene mit Bands wie Katapult und Ätztussis.
Wenn man überlegt, was von dieser ersten Generation „Punk“ in Deutschland heute noch übrig ist bzw. Wirkung zeigt, dann bleibt eigentlich nicht viel. Die Neubauten gibt es immer noch und sie mögen ihre Daseinsberechtigung haben. Mir war Blixa immer unsympathisch. Er ist ein arroganter Blender und vollkommen talentfrei. Aus Mittagspause wurden Fehlfarben, deren Debüt zu den besten deutschsprachigen Platten der 80er zählt. Und auch ihre ersten Versuche als Mittagspause sowie die folgenden LPs ohne Peter Hein sind nach wie vor hörenswert. DAF mochte ich auch noch nie. Vom Rest gibt es ein paar bewahrenswürdige Tondokumente, aber wirklich bedeutend ist m.E. nichts davon.
An der Wende zu den 80er Jahren sprach man bereits von „Neuer Deutscher Welle“, ein Terminus, dessen Erfindung Alfred Hilsberg – seinerzeit Mitarbeiter der SOUNDS – zugeschrieben wird. Die Bands dieser Untergrund ndW waren u.a. Palais Schaumburg, Der Moderne Mann, The Wirtschaftswunder, ZSK, Der Plan u.a. All diese Gruppen ist gemein, dass sie aktuelle Popmusik Vorbilder aus dem angloamerikanischen Raum mit deutschen Traditionen aus der Krautrock Ära (vor allem Kraftwerk, Neu, Can, Faust) und noch älteren avantgardistischen Traditionen wie Da Da u.ä. verbinden. In diesem Zusammenhang müssen auch Trio aus Großenkneten genannt werden, die mit der Verbindung von Punk, Minimalismus und Pop Riesenerfolge erzielten. Sie sind eine der besten deutschsprachigen Bands der 80er.
Andere Bands, die dann als ndW vermarktet wurden, entstanden eigentlich als „normale“ Rock/Pop Bands, die aktuelle musikalische Trends aus dem UK aufnahmen, teilweise mit deutschen Schlager Traditionen bis zurück in die 20er Jahre verbanden, und mit deutschen Texten aufwarteten, die witzig, aktuell und realitätsnah waren. Ideal war so eine Band oder auch Neonbabies und Interzone aus Berlin. Nena dagegen war für einen kleinen Moment die deutsche Kim Wilde, bevor die Band größenwahnsinnig wurde und ihre Musik immer abgeschmackter.
Nina Hagen nimmt eine Sonderrolle ein. Sie stand damals irgendwo zwischen Deutschrock und ndW, zwischen genial und peinlich. Heute nervt sie natürlich nur noch.
Was dann an zweiter und dritter Generation ndW von der Musikindustrie nachgeschoben wurde, das war eigentlich nur Schlager im moderneren Klanggewand. Ein paar hörenswerte Ausnahmen wie den „Fred vom Jupiter“ von Andreas Dorau gab es auch. Was es da sonst noch gab von Marius Müller mit seinem Pfefferminz Prinzen und Joachim Witt mit dem Goldenen Reiter bis zu Peter Schillings Major Tom und den Fräulein Menkes und Ixis usw., das ist alles gar nicht gut gealtert und war imgrunde damals auch schon schlicht zeitgemäße Schlagermusik, die heute allenfalls auf Nostalgie ndW Parties funktioniert.
Im weiteren Verlauf der 80er Jahre relativierte sich das Interesse an deutschsprachiger Musik dann wieder. Durch den von der Musikindustrie verschuldeten Ausverkauf und Overkill hatte auch das Publikum bald wieder die Nase voll von deutschsprachigen Klängen bzw. wandte es sich dem bewährten Mainstream oder Deutschrock zu. Neue bzw. junge Bands dagegen entdeckten verschüttete Genres und Subgenres der angloamerikanischen Popmusik für sich neu. Es gab Neo-Sixties, Neo-Rockabilly u.a. – aber in der Regel auf Englisch.
Obwohl Punk mit dem Beginn der 80er eigentlich tot war, hielt sich eine deutsche Punkszene hartnäckig weiter. Die populärsten und wohl auch besten Vertreter dieser Szene waren Slime aus Hamburg, die in gewisser Weise das Erbe der Scherben antraten. Rio Reiser spielte inzwischen Deutschrock, und nur hin und wieder war mal ein guter Song aus seiner Feder zu hören.
Aus der deutschen Punk Szene der frühen 80er gingen allerdings zwei Bands hervor, die bis heute zu den erfolgreichsten und beständigsten der einheimischen Musikszene gehören. Die Toten Hosen aus Düsseldorf und Die Ärzte aus Berlin – aus Berlin. Während die Hosen sich nach und nach zu einer durchschnittlichen Deutschrock Band entwickelten, der hin und wieder ein guter Song gelingt, blieben Die Ärzte sich eigentlich immer irgendwie treu. Ok, die Hosen sind nach wie vor eine gute Liveband, und sie haben durchaus ihre Meriten, aber seit mehr als fünfzehn Jahren treten sie m.E. auf der Stelle und langweilen eigentlich nur noch auf ihren seither erschienenen Platten. Bei Die Ärzte freue ich mich dagegen wirklich immer noch auf jede neue Veröffentlichung wie eh und je. Sie haben die Popmusik sicher nicht neu erfunden, und sie spielen imgrunde auch seit vielen Jahren einen Punk initiierten, Pop informierten Mainstream Rock deutscher Provenienz. Aber wie sie das tun, das finde ich immer wieder unterhaltsam, spannend und einmalig. Sicher ist nicht jede einzelne ihrer Aufnahmen immer 100% großartig, aber insgesamt betrachtet sind sie für mich die beste deutschsprachige Band aller Zeiten. Sie gehen mit der Sprache so souverän um, dass ihre Texte mit der Musik eine wunderbare Einheit bilden. Ihre Texte sind eigentlich niemals peinlich, aufgesetzt oder unpassend, und belehrend oder anbiedernd schon gar nicht. Man versteht sie sofort, das Weghören ist allerdings zugegebenermaßen schwierig.
Was gab es noch in den 80ern? – Deutschrock à la Pur, Westernhagen, Maffay. Alles vollkommen banal und uninteressant bis ärgerlich.
Ein deutsches Pop Phänomen ist die Band Münchner Freiheit. Ich kenne amerikanische Powerpop Fans, die alle Platten der Band besitzen, weil ihnen die Musik gefällt. Die Texte verstehen sie ja nicht. Ich selbst besitze immerhin eine Single der Band „Verlieben verlieren“, die mich musikalisch an Brian Wilsons und George Harrisons Werke erinnert. Der Text ist nicht weltbewegend, er stört aber auch nicht.
Was in den 80ern in der DDR vor sich ging entzieht sich weitgehend meiner Kenntnis. Ich habe DT64 erst wieder gegen Ende der 80er kurz vor der Wende gehört. Bands wie Pankow oder Silly haben mich nie interessiert. Und selbst die mit „Am Fenster“ über die DDR Grenzen hinaus bekannt gewordene Band City blieb mir ziemlich egal, obwohl ich sie Ende der 70er mal im Kant Kino in West-Berlin live erlebte. D.h. auch Pankow sah ich 1988 live in Finnland auf einem Rockfestival. Bei der anschließenden Pressekonferenz mit der Band versuchte ich mit den Musikern ins Gespräch zu kommen, aber die blieben sehr reserviert. Wahrscheinlich hielten sie mich für einen Stasi-Spitzel, da ich sie in Finnland akzentfrei auf deutsch ansprach. Gegen Ende der DDR gab es dann ja die sogenannten Anderen Bands. Dazu gehörten Die Skeptiker, Sandow, AG Geige, Feeling B u.a. Alles Bands, die m.E. zwar für die Jugendszene in der DDR zur Wendezeit wichtig waren, die aber keine wirklich dauerhaften und noch heute bedeutenden Werke hinterlassen haben.
Fortsetzung folgt –
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