Re: Fairport Convention

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espresso

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Ich hab jetzt Lust, diesen Thread nach oben zu holen. Nachdem ich den „Sterne an… „-Thread entdeckt habe, hab ich 'nen kleinen Fairport-Tag eingelegt und mich nochmal durch einen Großteil der Platten gewühlt. Wäre vielleicht mal Zeit für 'ne Rekapitulation. :rolleyes:

Ich gestehe mal ganz frei die Anfänge:
Ich denke, das größte Problem, was die meisten mit der Band haben, ist das Folk-Klischee, Kneipenrock oder vermeintliche Verwandtschaft mit Steeleye Span, Jethro Tull, oder noch übler, Chieftains, Dubliners und Konsorten. Mir ging's zuerst ähnlich, ich hatte mit 16 ein Fairport-Album geschenkt bekommen: „Red and Gold“. Ich hab's nie gemocht und im Regal vergessen. War für mich Altemännermusik, bei der man am Kamin mit einem Pint die verlorene Jugend betrauern kann.

Also bin ich mit Anfang 20 vollkommen unbeleckt und auf Umwegen neu auf sie gekommen. Ich hatte mit Folk bis dahin nicht viel zu tun, außer daß ich gerne Neil Young hörte und Irish Pubs ganz gemütlich fand. Klar hatte ich 3 Jethro Tull-Alben, die ich aber nicht mehr hörte, da mitten in der Brit Pop-Phase.
Naja, und da es einem mit Anfang 20 manchmal melancholisch zumute ist, kam die Nick Drake-Phase, und danach eine fieberhafte Suche nach dessen Einflüssen. Da Richard Thompson auf 2 der Drake-Alben die E-Klampfe beisteuert und zusätzlich noch einen Song über Nick geschrieben hat, kam also bald Richard & Linda Thompsons „Pour Down Like Silver“ ins Haus, eine Platte, die ich ziemlich schnell ins Herz schloss. Und einige Monate später fand ich bei 'nem Bekannten die RT-Anthology „Watching the Dark“, und darauf den Fairport-Song „A Sailor's Life“.
Und dann ging das Sammeln los, angefangen glücklicherweise mit „Unhalfbricking“.

Inzwischen hat sich der Blick auf die Band im Vergleich zu damals, vor allem die Lieblingssongs, etwas verändert, aber ich halte sie immer noch für eine der bahnbrechendsten Bands in meiner Sammlung, und zwar fast ausschließlich die frühen Alben bis 1970 – das mag am Alter liegen.
Und geblieben ist auch, daß Sandy Denny für mich eine der zwei größten Sängerinnen ist (nein, die zweite ist nicht Linda Thompson), und Richard Thompson mein Leib- und Magengitarrist.
Meiner Meinung nach sprühen die frühen Alben vor Energie und Kreativität, und nicht zuletzt vor Jugendlichkeit und Rock'n'Roll. Man muß sich immer vor Augen halten, daß Fairport damals erstens im Grunde Underground waren, und zweitens fast noch eine Teenie-Band – Richard Thompson war bei den Aufnahmen zum ersten Album gerade mal 19, Martin Lamble, glaube ich, sogar noch 17 oder 18.

Im Folgenden würde ich gerne mal einige meiner Lieblinge aufzählen, vielleicht als Anspieltips für Unbeleckte, gerade die, die sich vielleicht für Folk und Folkrock ebenso interessieren wie ich, bevor ich die Band für mich entdeckt habe.

Fairport Convention, 1968:

Das letzte Album, das ich mir von ihnen gekauft habe.
Das ganze Album hat sowas von garnichts mit Folk zu tun, und ist darum umso interessanter. Reiner, bester 60's Psychedellic mit Einflüssen und Ausrutschern quer durch alle Stilrichtungen, eine Platte zum mit dem Fuß wippen, bekloppt um die Lava-Lampe tanzen oder am Strand einen Martini trinken. Wunderbare Gitarre quer durch alle Songs, rockt teilweise ganz prächtig. Und auch wenn Judy Dyble nicht im Entferntesten an Sandy Denny rankommt, für diese Songs ist sie erste Wahl. Anspielen:

Time Will Show The Wiser
If (Stomp): Lovin Spoonful at it's best
Sun Shade: Unglaublich relaxter Sommersong, Martini on the Beach, zeitlos.
It's Alright Ma, It's Only Witchcraft: Ganz herrlich groovender Rocker, prächtige Gitarre, cool.
If I had A Ribbon Bow (Bonus Track): Erste Fairport Single, vollkommen schräg mit plötzlichen Umschwung in herrlichen Jazz-Groove. Hätte Sandy nicht singen können.

What We Did On Our Holidays, 1969:

Neue Sängerin, Stilsuche. Erste Ausflüge in den Folk, noch sehr viel 60's. Habe das Album damals sträflich vernachlässigt, da es mir zu 60's-lastig war und ich auf der Suche nach den dunklen Balladen war. Gott sei Dank wiederentdeckt.

She moves through the Fair: Die erste dunkle, schöne, traditionelle Ballade. Auf meiner Aufnahme ist leider Sandys Stimme etwas übersteuert, hoffe, daß das „wegremastered“ wurde. Ansonsten ein sehr stimmungsvoller Gänsehautsong, ich liebe die Akzente der Lead-Gitarre.
Tale In A Hard Time: Danke Stephen Malkmus! Der hat das Teil auf irgendeinem Konzert mal gecovert, irgendwer hat's mitgeschnitten, und ich bin im Netz drauf gestossen, so bin ich wieder auf's Original gekommen. Ich weiß nicht, was es ist, irgendwas im Harmoniegesang von Sandy und Ian Mathews, ich finde das Ding wunderbar. 60's Psychedellic mit einer Gitarre, die eher an Fairports Folkrock erinnert. Schönes Solo.

Unhalfbricking, 1969

Mein erstes und bis heute wohl auch Lieblingsalbum. Immer noch ein Stilmix, aber aus einem Guß, mit zeitlosen, wunderbaren Songs, die zeigen, daß die Band sich gefunden hat.
Sandy Denny und Richard Thompson stechen als die kreativen Köpfe heraus, wunderbar zu hören bei Songs wie Genesis Hall und Autopsy.

Si Tu Dois Partir: Liebenswertes, witziges Dylan-Cover. Macht Lächeln.
Autopsy: Für mich einer der Mördersongs von Denny/Thompson. Sandy singt engelsgleich, während der Song wundebar laid-back und trotzdem mit einer süßen Melancholie ewig weitergehen könnte. Subversiv….
A Sailor's Wife: Mein erster Fairport-Song. Wunderbare epische 11-Minuten Ballade, steigert sich immer weiter in besten Folkrock und in Richtung „Liege & Lief“. Generalprobe sozusagen, und klasse Song.
Who Knows Where The Time Goes: Sandy Denny-Evergreen, zurecht. Ein einfacher und zeitlos schöner Song. Je älter man wird, desto mehr drückt er auf die Tränendrüse.

Liege & Lief, 1969

Naja, das Referenzwerk, Perfektion des Folkrock, etc. Hier wird allerdings schon ein Hang zum Folkrock vorausgesetzt, Stilmix war mal, jetzt geht's an die Traditionals. Aber es rockt, verdammt gut sogar. Trotzdem nicht meine Lieblingsplatte, vielleicht zu perfekt.

Come All Ye: Sandy scheint eher aus dem Hintergrund zu singen, die ruppige Gitarre und Fiddle im Vordergrund, erdig, einladend, recht cool.
Tam Lin: Vielleicht der Song, der am ehesten für den Folkrock-Stil von Fairport steht. Sehr erdig, rockig, kann ewig laufen.
Reynardine: Wunderbar epische Ballade, erste Sahne der Übergang zu Matty Groves.
Matty Groves: Mal ehrlich, der Song geht verdammt cool los und zählt sicher zu den Highlights von Fairport, aber kann irgendjemand mit den Folkrockeskapaden am Ende richtig glücklich werden? Ich gebe ehrlich zu, daß ich bei 4.30 langsam ausblende…

Full House, 1970

Für mich das vielleicht interessanteste und dunkelste Album. Sandy Denny ist nicht mehr in der Band, die Band scheint in der Luft zu hängen und spielt sehr ruppigen Folkrock mit ordentlicher Haudraufattitüde, alles wirkt provisorisch. Als Übergangslösung wechseln sich alle mit dem Singen ab, keiner scheint's richtig zu wollen und zu können (später wird sich Dave Swarbrick etablieren). Insbesondere Richard Thompsons Gesang mag ich hier besonders, gerade weil er vollkommen ungeübt ist und vollkommen gebrochen klingt.
Selbst die schnellen Traditionals, die eigentlich schon starke Geschmackssache sind, gewinnen durch die Ruppigkeit der Instrumente, Thompsons Gitarre gibt den Stücken den Dreck und die Coolness, die sie eben nicht zu Kneipenfolk machen, Swarbricks Fiddle nervt nicht, sondern rundet wunderbar ab.

Walk Awhile: schneller stampfender Folk-Opener, der mit schönem Refrain überrascht und durch die ruppige Gitarre glänzt.
Doctor Of Physics: Herrlich dunkel, irgendwie vollkommen schwarz, und auch dreckig.
Sloth: Eine Hammerballade, dunkel und hoffnungslos, vorgetragen, als ob sie alle gerade die Hölle des Lebens hinter sich hätten. Irgendwann bricht Thompsons Gitarre zu einem dieser berühmten explosiven Soli aus, diese „ich bin nah am Nervenzusammenbruch, aber beisse die Zähne zusammen“- Gitarre.
Poor Will And The Jolly Hangman (Outtake, nur als Bonus auf der Remaster): Einer DER Thompson-Songs überhaupt, weiß Gott, warum er ihn damals nicht auf dem Album haben wollte. Epischer noch als Sloth, etwas folkiger vielleicht durch die Mandoline, aber von der Stimmung noch dunkler, und die Gitarre bricht endlich ungehemmt aus.

Angel Delight, 1971

Für mich im Nachhinein der Abschluß. Thompson ist raus, Sandy immer noch abwesend, aber das Album schließt noch gut an Full House an, es sind auch noch 2 Thompson-Kompositionen drauf, und es rockt recht ordentlich. Die Grundstimmung ist positiver, rotziger und witziger als auf Full House, und es gibt ein paar erstklassige Folkrocker zum mitsummen. Anspielen kann man auf jeden Fall einiges, ich empfehle mal

The Journeyman's Grace: Ein wirklich guter einfacher Folkrocker, noch aus Thompsons Feder. Simon Nicol spielt eine nette Fußwipp-Gitarre, nicht so perfekt wie Thompson vielleicht, aber mit 'ner guten Prise Rock'n'Roll.

Später erschienenes Frühwerk:

Heyday – BBC Radio Sessions 1968-69

Ich Arsch habe mir die Platte gekauft, als ich gerade in der Balladen-Phase war, und konnte damit erst überhaupt nichts anfangen. Fast Ausschließlich Covers von Amerikanischen Songs und sehr 60s-lastig. Monate später wieder ausgebuddelt, aufgelegt und erleuchtet. Das ganze Album ist, sobald man sich an den etwas antiquierten Sound gewöhnt hat, ein einzigartiges Zeugnis für das Können der damals ganz jungen Band.
Und es ist wie Fairport 1 ein Gitarrenalbum. Für Leute, die auf die Gitarre achten, jedenfalls. Was Thompson da so lässig souverän und ganz bescheiden rausschüttelt, ist einfach klasse und kann einem Freudentränen in die Augen treiben. Must-have für alle, die auf gute Musik aus den 60ern stehen, Evergreens wie „Reno, Nevada“, „Suzanne“ und andere in unglaublich guten Cover-Versionen.

Reno, Nevada: Ohrwurm
Shattering Life Experience: Fairport-Song von Simon Nicol, schön, und vor allem wunderbare Gitarre.

House Full, 1970

Liveaufnahme zur Tour nach „Full House“. Recht beeindruckend, es klingt nach etwas verranztem Schuppen und dementsprechend ist die Musik auch wieder etwas verranzt – Angedreckter Folkrock'n'Roll, ziemlich improvisiert, aber ein klasse Zeugnis des Könnens der Band. Schöne Live-Version von „Sloth“.

Reinhören kann man noch in ein paar weiter Alben, aber für mich ist damit das Wichtigste abgegrast. Das sind die Dinger, als die Band noch jung und frisch war, und einen Rock'n'Roll hatte, den man heute noch nachvollziehen kann.
Der Wiedereinstieg von Sandy Denny ist vielleicht hörenswert, aber Ihre Solo-Projekte sind um Welten besser als Fairports „Rising For The Moon“. Und nach Dennys Tod kann ich mit dem verbliebenem Rest von Fairport garnichts mehr anfangen. Richard Thompson allerdings… da könnte ich beim nächsten Mal weitermachen. :)

Wellja. Vielleicht krieg ich ja noch jemanden dazu, in die Platten mal reinzuhören, ansonsten hatte ich wenigstens 'nen netten Abend mit alten Platten. :rolleyes:

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