Re: Scarlett Johansson – Anywhere I lay my head

#6575563  | PERMALINK

annamax

Registriert seit: 08.07.2002

Beiträge: 4,665

Andreas Borcholte vergibt auf Spiegel-Online 6 von 10 möglichen Punkten.
Wenn ich mir die Soundschnippsel, die als Appetithäppchen angeboten werde, zu Gemüte führe, dann vergeht mir der Appetit aber ganz gewaltig. Dieses Gewimmer und Gewummer übertrifft meine schlimmsten Erwartungen. 2 von 10 Punkten … allerhöchstens!

Scarlett Johansson – „Anywhere I Lay My Head“
(Rhino/Warner, 16. Mai)

Eins mal vorweg: Sie sieht zwar super aus, ist wahnsinnig sexy und kann auch ziemlich gut schauspielern – aber singen kann sie nicht. Scarlett Johansson ist deswegen aber noch lange keines dieser Hollywood-Sternchen, die von ihrem Manager in eine Allround-Karriere als Darstellerin/Sängerin/Model gequatscht werden, dazu ist die Amerikanerin dänischer Herkunft, die nach Scarlett „Vom Winde verweht“ O’Hara benannt wurde, viel zu eigenwillig. Und das ist ein Attribut, das auch perfekt auf das Album „Anywhere I Lay My Head“ passt. Johansson hat es zusammen mit Dave Sitek, dem Kopf der New Yorker Avantgarde-Rock-Truppe TV On The Radio aufgenommen, der fand, ein Pop-Album mit Scarlett Johansson sollte klingen wie „Tinkerbell auf Hustensaft“. Für den gebrochen elfenhaften Effekt sorgte er, indem er Johanssons Stimme, die ein bisschen nach Nico, ein bisschen nach Debbie Harry klingt, durchgängig mit viel Hall belegte und sie schön weit in den Hintergrund mischte. Das gibt einen schön somnambulen Sound, verschleiert das fehlende Gesangstalent und macht sich gut in dieser zeitgeistigen Sixties-Retroseligkeit, die gerade überall grassiert.

Nur einen von elf Songs schrieben Sitek und Scarlett zusammen („Song for Jo“), die meisten Kompositionen stammen von Tom Waits und seiner Frau Kathleen Brennan. Ha, die Schöne und das Biest! klarer Fall von Über-Gegensätzlichkeit, und tatsächlich erhalten knarrige Waits-Klassiker wie „Town With No Cheer“ oder „Fannin‘ Street“ durch Johanssons entrückten Sprechgesang eine ganz neue Richtung, sie holpern nicht mehr im Ochsenkarren über den Kiesweg, sondern schweben ganz psychedelisch mit einer gläsernen Kutsche durch die Luft. Sitek entwirft dazu einen flächigen Synthetik-Klangteppich, der von den Bogen von den sechziger Jahren zu den romantischen Elektronikern der frühen Achtziger schlägt. Die „Maid of Orleans“ von Orchestral Manoeuvres in the Dark lässt da zuweilen ganz heftig grüßen. Was bleibt? Man sollte das Album unbedingt zu Ende hören, denn zum Schluss kommen mit dem treibenden „I Don’t Want To Grow Up“ und dem wundersam kinematischen „No One Knows I’m Gone“ die Höhepunkte dieser sehr ungewöhnlichen, sehr gewollt verkünstelten – und irgendwie ziemlich coolen Platte. Wie langweilig wäre es, wenn Scarlett Johansson singen könnte? (6)

Andreas Borcholte

http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,552868,00.html

--

I'm pretty good with the past. It's the present I can't understand.