Re: Neuer Blues?

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nathan-noergel

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Ok, natürlich ist eine Definition des Blues wichtig, um beurteilen zu können, was denn neuer Blues sein könnte. Wenn man Blues (wie es etwa Elijah Wald in seinem Buch über Robert Johnson macht) komplett als Teil der farbigen Popmusik betrachtet, ist eine solche Diskussion von Anfang an schon sinnlos. Popmusik als solche ist ja schon immer den Marktgesetzen und damit auch der permanenten Erneuerung unterworfen. Und somit wäre „alter“ Blues nur Blues von vorgestern ohne Relevanz für heute. Und dann wäre – um die Zuspitzung weiter zu treiben – Joe Bonamassa der größte Bluesstar der Gegenwart.

Allerdings gibt es auch eine andere Sichtweise, die den Blues (jenseits aller regionalen Stile) als integralen Teil der Kultur und Gesellschaft der farbigen Minderheit in den USA begreift. Und hier hatte diese Musik ähnlich wie religiöse Vorstellungen aus der Heimat afrikanischen Vorfahren eine Bedeutung, die weit über den Unterhaltungsaspekt von Popmusik hinausreicht. Hier hat der Blues eine fast spirituelle Funktion – oder wie es John Lee Hooker einst absolut treffend sagte: Blues is a Healer. Der Bluesman macht sein persönliches Erleben in der Musik für alle nachfühlbar und ermöglicht so die Bewältigung harter Erfahrungen im gemeinsamen Hören von Musik. In diesem Sinne ist Blues, der lediglich die Schemata der Musik bedient und sich eventuell sogar mit absoluten musikalischen Höchstleistungen brüstet, kein „echter“ Blues.

Big Daddy Wilson – auch wenn er musikalisch sich immer wieder aus der reichen Bluesgeschichte bedient – ist für mich ein Beispiel dafür, wie diese Funktion des „heilenden“, des aufrichtenden und die Hörer beeinflussenden Blues noch heute funktioniert. Bluesrocker wie Joe Bonamassa hingegen sind in der Beziehung absolut kein Blues.

Auch Gary Clark Jr. ist einer der Musiker, die von der Wurzel des Blues her immer wieder versuchen, ihn für heutige Hörer relevant zu machen. So bezieht er einerseits die Gitarrenspielweisen zwischen Hendrix und Prince in seine Stücke mit ein und versucht selbst, die heutige RnB-Musik mit einer tieferen Bedeutung aufzuladen. Otis Taylor – ob er akustische Bluessongs spielt oder elektrischen Trance-Blues, fällt genau in diese Kategorie von Musikern.

„Neuer“ Blues heißt für mich nicht: Blues mit ganz neuen und ungehörten Spielweisen, sondern vor allem: Hier sind Musiker, die mit ihren Geschichten und ihrem Spiel ganz in der Gegenwart sind, aber dabei nicht vergessen, dass Blues ohne die eigentlichen Wurzeln und ohne die Bereitschaft, sich in der Musik ganz und gar für den Hörer zu öffnen, kein Blues mehr ist, sondern lediglich Popmusik nach Bluesschema.