Startseite › Foren › Die Tonträger: Aktuell und Antiquariat › Aktuelle Platten › Elvis Costello – "Momofuku" › Re: Elvis Costello – "Momofuku"
Wolfgangs Anmerkungen zur Platte im Roots-Thread zur Sendung am 18. 5. dürften hier auch von Interesse sein:
Wolfgang Doebeling
Zu „Momofuku“: exzellent (* * * *) und sicher Els beste LP seit ewigen Zeiten. Weil die Songs weniger gezirkelt sind, die Musik lebendiger ist, sein Gesang lässiger. Letzteres ist besonders wichtig, denn er nimmt sich und seine Sangeskunst seit gut 20 Jahren viel zu ernst und tendierte immer mehr dazu, jeden Ton zum Tragen zu bringen, zu pressen und ungut zu tremolieren. Das ist auch auf „Momofuku“ zu hören, aber wesentlich reduzierter als zuletzt. Insgesamt klingt die LP wie aus der Hüfte geschossen und ist mithin näher an den frühen Großtaten als am später Bemühten, Schwergängigen. Auch höre ich eine Spielfreude heraus, die ich nicht mehr von ihm erwartet hätte, ein rumoriges, organisches Ensemble-Spiel fern eingeübter Exaktheit. Wie sich etwa „Turpentine“ aus Lärm und Overspill herausschält, ist ein Vergnügen. Kurzum, das Ding lebt. Allenfalls Kleinigkeiten wären zu bekritteln. Zum Beispiel ein Zuviel an instrumentaler Präsenz, ein Manko an Dynamik, nicht klanglich, sondern im Zusammenspiel. Was freilich auch daher rührt, daß die Musiker nicht steril getrennt nebeneinander agieren, sondern als Band in einem Raum, und daß die Sessions offenkundig recht zügig vonstatten gingen. Suits me.
Declan MacManus
Was deine Bewertung von „Momofuku“ (der Titel ist wirklich das einzig Blöde an der Platte) angeht, stimme ich dir voll und ganz zu, auch was den Gesang angeht (er klingt unangestrengter, traut sich wieder zu schreien und zu kieksen) – ich höre sie nur einen halben Stern besser als du – aber bei mir hat Costello ja insgesamt bedeutend mehr Sterne als bei dir. Meiner Meinung nach seine beste Veröffentlichung seit „Painted from Memory“ und sein bestes Solowerk seit „Blood and Chocolate“.Dass die Platte sehr schnell entstanden ist, hört man in der Tat – (nicht zuletzt am unangenehm muckerhaft erscheinenden Einwurf „to the bridge“ auf dem ansonst wirklich respektablen „Flutter and Wow“). Mich würde aber ein Beispiel interessieren, wo genau du das „Zuviel an instrumentaler Präsenz, ein Manko an Dynamik, nicht klanglich, sondern im Zusammenspiel“ hörst.
Wolfgang DoebelingNun ja, eine klangliche Komponente hat das natürlich auch. Die Produktion tendiert ein wenig zum Matschigen, das Ensemblespiel ist wenig dynamisch. Viel läuft parallel, es gibt kaum Ausbrüche, solistische Einsprengsel sind selten. Das führt zu einer gewissen Abnutzung beim Hören. Wenn etwa, sagen wir in „No Hiding Place“, Gitarren, Bass und E-Piano auf demselben Beat pulsieren, um Druck zu erzeugen, geht der Effekt flöten, sobald sich ein Instrument ausklinkt, weil dann der Pegel sofort angepaßt wird. Nicht so plakativ und unmusikalisch wie bei den meisten aktuellen Produktionen (U2, Springsteen, etc.), aber durchaus störend für meine Ohren. Vergleiche dazu Druckerzeugung und Dynamik des Attractions-Interplays auf „Get Happy!!“: no comparison. Das macht sich übrigens eklatant im Studio bemerkbar. Bei den „Momofuku“-Tracks brauchte ich nur anfangs den Pegel justieren, das lief auf einem Level durch. Bei Portishead oder Joanne Robertson mußte ich die Hand am Regler halten, um gegebenenfalls korrigieren zu können. Wie in den alten Zeiten, als sich die Techniker in der Regie zu beschweren pflegten, daß diese „Uralt-Musik“, die ich ihrer Meinung nach spielte, ständig „Ausreißer“ hätte und die Limiter nachjustiert werden müßten. Schon damals empfand der durchschnittliche Tontechniker musikalische Dynamik als ausgesprochen lästig. Das hat sich natürlich längst erledigt, spätestens seit Musik im Radio totkomprimiert wird, dank Digikonform-Apparaturen mit Typenbezeichnungen wie „Opti“ und „Adapto“. Zurück zu Elvis: „Momofuku“ ist erfreulicherweise nicht rücksichtslos auf „laut“ produziert, aber doch auf „competitive“, wie der Fachmann sagt. Also so, daß im direkten Vergleich mit scheußlichsten Soundbrettern wie den Red Hot Chili Peppers nicht alles kollabiert. Ein wenig mehr Mut und weniger Rücksichtnahme auf Forderungen der Durchhörbarkeitsindustrie wäre schön gewesen. Und um nochmal auf die minimale Kritik bezüglich der mangelnden instrumentalen Dynamik zurückzukommen: der kollektive Bumms verschiedener Instrumente auf demselben Ton und Beat verstärkt natürlich das Gefühl klanglicher Nivellierung. Ein Problem, das bei den Aufnahmen zu „Get Happy!!“ freilich noch nicht in diesem Maße existierte. Ich hoffe, mich verständlich ausgedrückt zu haben.
Sokrates‘ Anmerkungen aus dem „Musikalischen Tagebuch“ stehen Wolfgangs Sichtweise entgegen:
SokratesIm Ernst: Die Platte klingt, als hätte sich Costello mit seiner Band völlig unvorbereitet ins Studio gesetzt, unter dem Motto: „Wir tun mal so wie früher” ein bisschen gejammt, das mitgeschnitten und veröffentlicht. Im Vergleich zu jüngsten Großtaten wie „North” oder auch „Cruel” ein Witz, und zwar ein extrem schlechter.
Und Du weißt: Blindes Fantum ist mir ein Gräuel!
SokratesHabe heute morgen mal die Plattenfirmen-Info gelesen. Fühle mich insoweit bestätigt, als da steht: „Wir haben die Platte so schnell gemacht, dass mir selbst wochenlang gar nicht klar war, dass ich überhaupt ein neues Album habe.”
Dazu werden Vergleiche mit „This Year’s Model” und „Armed Forces” gezogen. Das mag vom Sound her stimmen – nur dass keiner der neuen Songs an die Frühwerke heranreicht.
Und jetzt ratet mal, welche Analyse ich treffender finde! Aber Sokrates kann dann ja wieder mit dem gern genommenen „Blindes Fantum“-Vorwurf kommen. Nur zu!
--
Lately I've been seeing things / They look like they float at the back of my head room[/B] [/SIZE][/FONT]