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Taz von heute
Zum Finale von „Germanys Next Topmodel“
Es ist ekelhaft – ich bin dabei
Sind die Kandidatinnen Opfer? Gewinnt am Ende wirklich immer Heidi Klum? Mit der dritten Staffel endet eine der umstrittensten Fernsehsendungen des Jahres. Vier Nachtgedanken.
Heidi Klum hat es geschafft. Sie hat mich zum Schizo gegermany’snexttopmodelt. Diese Show ist schrecklich – und ich komme trotzdem nicht davon los. Mein Kopf sagt jeden Donnerstag: Lies mal lieber wieder ein gutes Buch. Mein Bauch fragt: Und? Wer fliegt heute raus? Es ist wohl überflüssig, zu erwähnen, dass mein Bauch gewinnt. Und Heidi Klum.
Ausgerechnet diese „fiese Möpp“ aus Bergisch-Gladbach, die mir ungefähr so sympathisch ist wie Idi Amin, lasse ich jeden Donnerstag in mein Wohnzimmer – um mich über sie aufzuregen: wie sie Mädchen runtermacht, denen sie gerade noch vorgegaukelt hat, sie wäre ihre beste Freundin; wie sie ihr Verhalten mit der Bemerkung rechtfertigt, so sei halt das Business – und wie Klum die Mädchen durch ihr Checkergehabe dazu bringt, die erlittenen Schikanen für wichtige Lektionen auf ihrem Karriereweg zu halten. Dabei dient „Germany’s Next Topmodel“ einzig der Marke Heidi Klum und dem Amüsement von Leuten wie mir. Bewundere ich Klum vielleicht insgeheim dafür, dass sie es über ihr kaltes Herz bringt, so bitchy zu sein – und damit auch noch so erfolgreich ist?
Ja, wahrscheinlich gucke ich auch deswegen so gerne „Germany’s Next Topmodel“, weil dort Frauen stellvertretend für mich Harmoniejunkie ihre Niedertracht ausleben: nicht nur Heidi Klum, auch die Kandidatinnen, die – wenn sie nicht gerade shooten oder schlafen – lästern, lästern, lästern, am Donnerstag zum vorerst letzten Mal. Es ist ekelhaft – ich bin dabei. DAVID DENK
Heidi Klum ist Darwinistin. In der Modelmach-Show setzt die Werbe-Ikone konsequent die von Charles Darwin beschriebenen Grundpfeiler der Evolution am Beispiel ihrer Gattung um: Reproduktion, Variation und Selektion. Als perfekter Werbeträger fertigt Klum in ihrer Show Kopien von sich selber an, die einander wiederum in ihrem Entstehungsprozess streng nach den Vorgaben der Vorbilds kontrollieren und somit dafür sorgen, dass die Kopienproduktion weiterläuft. Da nicht jedes Nachwuchsmodel die perfekte Good-clean-fun-Heidi wird, es also ungenaue Replikationen gibt, entsteht die Variation, die wiederum die Selektion bedingt. Überlebensfähig, so suggeriert Klum jedoch, wird man als universeller Werbeträger, wenn man mit möglichst allem kompatibel ist. Das perfekte Model ist die Frau ohne Eigenschaften.
Das Faszinierendste an der Methode Klum ist, dass sie das Original, das zu sein sie vorgibt, gar nicht ist. Topmodels sind Frauen wie Linda Evangelista, Naomi Campbell oder Nadja Auermann. Frauen, deren Blick oder Anblick einen verfolgt, wenn sie über den Catwalk fegen. Frauen, die für etwas stehen, und sei es nur Luxus und Überfluss.
Klum ist eine Standardschönheit in Perfektion, die nicht groß vom Produkt ablenkt. Die „German Heidi“, das Mädchen für die Bademode. Und so schafft sie mit der Vervielfältigung ihrer eigenen Aussagelosigkeit letztendlich nur eins: Durch die unendlich vielen Kopien befördert, wird sie selbst schon bald vergessen sein. JUDITH LUIG
Spätestens mit „Big Brother“ ist die Ära zuende gegangen, in der das Fernsehen als Institution noch irgendwen – geschweige denn einen echten Star – „machen“ konnte. Das läuft nicht mehr. „Big Brother“ hatte noch den unterhaltsamen Nebeneffekt, dass der Gewinner der Show für eine Weile als ironisch gebrochene Karikatur eines Stars durch die Medien tingeln durfte, bevor er dann als ganz unironisch gebrochener Mensch als Moderator bei 9Live oder als Maskottchen in einem Club auf Ibiza sein Dasein als kümmerliche Restprominenz fristen musste.
„Bekannt aus Funk und Fern“ ist heute niemand mehr. Dass die achso armen Überlebenden eines „Boot Camps“ (FAS) wie „Germany’s Next Top Model“ niemals in Mailand oder Paris über die Laufstege stöckeln werden, sondern ihre hübschen Gesichter höchstens an C&A oder den Bezahlsender Premiere verkaufen können – das stört nur solche Feuilletonisten, die hauptberuflich von der tendenziell unterkomplexen Tätigkeit des Fernsehguckens leben. Wird das Fernsehen irrelevanter, geht da schnell mal das Abendland unter. Egal, die Zielgruppe weiß es besser. So sucht „Deutschland“ zwar „den Superstar“, aber selbst eine Affirmationsmaschine wie Bravo titelt über den Gewinner nur noch: „Wie lange wird er sich halten?“.
Das Fernsehen kann kein Ruhmversprechen mehr machen, weil es keinLeitmedium mehr ist. Es kann nur so tun, als ob – und sieht dabei so traurig aus wie der „Superstar“ von gestern. ARNO FRANK
Es ist ja kein Geheimnis, dass die meisten Flaggschiffe der deutschen Privatfernsehunterhaltung meistenteils für teuer Lizenzgeld aus dem angloamerikanischen Ausland eingekauft und dann so dreist abgekupfert werden.
Das gilt auch für „Germany’s Next Top Model“, die germanische Version von „America’s Next Top Model“ – dortzulande geht das Format demnächst in die elfte Staffel und wird, im Gegensatz zu Deutschland, von einem echten Top-Model modereriert: Tyra Banks, 34, hat sich die Geschichte vor fünf Jahren ausgedacht, fungiert als ausführende Produzentin, hockt klumgleich in der Jury und hustet sogar eigenstimmlich den Titelsong („Wanna Be On Top“).
Dabei lässt sich in den USA bereits ein Nachfolgeformat bestaunen, bei dem auf vergiftete Vorbilder à la Klum oder Banks ganz verzichtet und doch der strukturelle Unterhaltungskern dieser Reality-Formate erhalten bleibt – nämlich als sicherer Distanz provinziellen Charakterkatastrophen dabei zuzuschauen, wie sie sich selbst oder auch gegenseitig in die Tasche lügen bzw. die Augen auskratzen: Für „The Hills“ (MTV) wurden vier Landpomeranzen Volontariate bei Illustrierten oder Plattenfirmen in Los Angeles verschafft, im Gegenzug lassen sie sich bei ihrem tollen neuen Leben und Lieben abfilmen – ein Drehbuch braucht’s da nicht, die Konkurrenz ergibt sich ganz von alleine, 3,6 Millionen Zuschauer sprechen für sich. Demnächst auch in Deutschland, vielleicht als „Der Hügel“ (Pro7), direkt aus Prenzlauer Berg? ARNO FRANK
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