Re: Graphic Novels

#6453609  | PERMALINK

latho
No pretty face

Registriert seit: 04.05.2003

Beiträge: 36,945

FriedrichThx!

You’re welcome, hat mich ein bisschen gewundert, dass der Comic hier im Forum nicht ausführlicher besprochen wurde.

Friedrich
Das Falsche Geschlecht ist etwas unscharf, was das Thema betrifft, finde ich. Aber so ist das Leben, oder? Diese Unschärfe im Comic finde ich sogar besonders reizvoll. Was meint die alte Frau damit, als sie (in der deutschen Ausgabe) am Ende, wo Louise’s Waffel in den Gulli gespült wird, sagt „Was für eine Verschwendung!“? Den Comic als Transgender-Geschichte zu bezeichnen, ist zwar nicht vollkommen falsch, aber es setzt einen Fokus, den es im Comic so nicht gibt. Die Bezeichnung Transgender-Geschichte kommt mir daher klischeehaft und auf unangemessene Weise verkürzend vor und wird dem Comic nicht gerecht. Ja, es geht um Krieg, Gewalt, Trauma, um Identitäten, um die Freiheit aus der eigenen Rolle zu schlüpfen. Und am Ende auch um das Scheitern in der anderen Rolle.

Ich fand den deutschen Titel auch etwas unglücklich (soll ja vorkommen…). Im Original: Mauvais Genre, also etwa „Schlechte Gesellschaft“, „Gesocks“ (merkwürdigerweise gibt es einen Film, auch mit Transgender-Inhalt, der auch so heißt, keine Ahnung, ob das im Französischen eine Bedeutung hat). Das ist das, was die ältere Frau zu Louise auf der letzten Seite sagt. Also in etwa „die schlechten Leute vom anderen Ende der Gesellschaft“. Dorthin transportiert von Umständen, die der Krieg hervor rief.
Und ja, „Transgender-Geschichte“ ist verkürzend, es geht in dem Comic auch um andere Themen.

Friedrich
Es wäre noch eine interessantes Thema, in wieweit die Ausschweifungen der Nachkriegszeit des 1. Weltkrieges eine Gegenreaktion auf die Zwänge des Krieges waren. Aber ich bin kein Psychologe und keine Soziologe. Und außerdem ist das eine andere Baustelle.

Der 1. Weltkrieg hat in vielen Ländern (Deutschland mal außen vor) tiefere kulturelle Spuren hinterlassen als der 2. WK – wobei man darüber wohl ausführlich diskutieren kann. Eine, auch für Zeitgenossen deutlich sichtbare Folge war der offen ausgelebte Hedonismus – die „Roaring 20s“. Das Ende des steifen, bürgerlichen 19. Jahrhunderts. Tanz-Wut, sexuelle Promiskuität, das Ändern, ja Umstürzen der Geschlechterrollen – Frauenemanzipation und – wahlrecht, ein Öffentlichwerden von Homosexualität, Damenimitatoren in den Varietees etc. Auch das dem Comic zugrunde liegende Drama kam ja breit in die Presse.

Friedrich
Wie haben Dir die Zeichnungen gefallen?

Gut, sehr gut sogar. Deutlich von Christophe Blaine beeinflusst, hat mir das Grau mit roten Farbstichen sehr gut gefallen. Cruchaudet kann vor allem gut grafisch erzählen, der Comic liest sich wie Butter.

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If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.