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MikkoIch habe mir „Gleisdreieck“ nun auch endlich besorgt.
In einem Rutsch durchgelesen auf dem Weg zur Arbeit und zurück.
Das klingt schon mal sehr gut!
Zunächst die Story. Sie ist einerseits nah an den historischen Ereignissen, andererseits kommt mit den ex-Terroristen vom „2. Juni“ sowie dem Undercover Agenten des VS eine recht bizarre Note hinzu. Wobei auch da Fiktion und historische Ereignisse erstaunlich gut miteinander verwoben sind. Die Schauplätze sind sehr genau recherchiert und bis in Details absolut authentisch. Auch der Titel „Gleisdreieck“ passt gut. Am Gleisdreieck waren tatsächlich mehrere Taxiwerkstätten in einer Sackgasse direkt neben dem Bahngelände (das ja damals der Reichsbahn und damit der DDR gehörte). Dass dort baskische Separatisten neben legalen auch illegale Geschäfte betrieben ist nicht nur glaubhaft, sondern sogar wahrscheinlich.
Ja, das Gleisdreieck war eine eigenartige Ecke. So ein schmuddeliges Kleingewerbe-Gebiet mitten in der Stadt, mit irgendwelchen Schraubern und Im- und Export und so. Mit dem neu eröffneten Park am Gleisdreieck fällt die Gegend aber jetzt die Treppe hoch.
Von daher hat mir die Geschichte sehr gut gefallen, weil ich vieles gut nachvollziehen konnte und wiedererkannte. Mit der Glaubwürdigkeit der Terroristen Geschichte ist es dann allerdings so eine Sache. Das wirkt dann schon ziemlich unwahrscheinlich. Am Ende wurde es aber halbwegs elegant gelöst.
Das Buch lebt natürlich sehr von der Wiedererkennbarkeit und der authentischen Darstellung der Orte und der Zeit. Ich finde, das ist eine große Stärke von Gleisdreieck. Eigentlich steht und fällt das Buch damit. Die Geschichte selber finde ich dabei fast zweitrangig aber durchaus wahrscheinlich und mit solchen realen Details wie dem Häuserkampf, der Terrorismus-DDR Connection aber auch solch fiktiven Einzelheiten wie der misslungenen Heinrich Lummer-Entführung glaubwürdig. Die – fiktive – Terroristengeschichte scheint mir eher so etwas wie eine Rahmenhandlung zu sein, oder ein Handlungsstrang, an dem sich die anderen kleinen Geschichten entlang hangeln. Vielleicht ist sie ansonsten gar nicht so bemerkenswert. Obwohl ich auch diese Geschichte für durchaus glaubhaft halte: Die militante linke Szene war ja sehr inhomogen, teilweise sehr untereinander zerstritten und es tummelten sich da Leute verschiedenster Herkunft, Motivation und Zielsetzung, und auch verschiedenster Charaktereigenschaften vom mehr oder weniger naiven politischen Idealisten bis zum grenzwertig narzisstischen Sadisten à la Andreas Baader, dem wahrscheinlich jede Bühne recht gewesen wäre um die große Show abzuziehen. Einige Interna kann man in Austs Baader-Meinhof-Komplex nachlesen.
Nun zu den Zeichnungen. Eigentlich gefällt mir dieser Stil nicht besonders. Aber da viele Details so en passant eingewoben wurden, und da die einzelnen Charaktere letztlich recht gut getroffen sind, kann ich damit leben.
Ich finde den Zeichenstil passend. Zwar detailliert, aber etwas kritzelig und die Farben schmuddelig. Erzeugt die richtige Athmo. Aber ist natürlich Geschmackssache.
Insgesamt also eine unterhaltsame Lektüre für ein/zwei Stunden. Man sollte die Bilder wirklich genau studieren. Viele Details erschließen sich erst beim zweiten Hinschauen.
Dit freut mir von Dir zu lesen!
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)