Re: Graphic Novels

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latho
No pretty face

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MikkoNun, ich war auch auf der Veranstaltung in Erlangen, allerdings nicht bei der Lesung. Ich frage mich – und Euch – ehrlich gesagt auch, wie man einen Comic vorliest. Comic ist ja hier Synonym für Bildergeschichte. Wie liest man Bilder vor?

Zur Frage der „Graphic Novel“ möchte ich unabhängig von „E“ und „U“ mal die Frage stellen: „Wozu braucht man Graphic Novels? – Ich habe vielleicht einen etwas altmodischen Comic Begriff, aber für mich sind Comics eben doch eher Bildergeschichten mit unterhaltendem Charakter. Was ich da in Erlangen unter dem Stichwort „Graphic Novel“ angeboten sah, ist für mich zumindest teilweise recht unbefriedigend. Während ich Reinhard Kleists „Cash“ noch akzeptieren kann, sind für mich andere „Graphic Novels“ schlicht unnötig. Warum muss man die zweifellos interessante und zum Teil auch spannende Geschichte des Spions Richard Sorge in recht statischen Bildern erzählen, wie es Isabel Kreitz tut? Ihre Zeichnungen sind zweifellos gut von der Technik und von der Atmosphäre her, aber die Story des Richard Sorge eignet sich m.E. nicht für eine Bildergeschichte. Ein Dokumentarfilm oder auch ein ganz herkömmlicher Roman wären dem Sujet eher angemessen. Und so ist es m.E. mit vielen Graphic Novels. Es werden Themen in die Form eines Comic gezwängt, die schlicht nicht hineinpassen.

Man muss beim Comic, wie bei jeder anderen Kunst auch, zwischen Inhalt und Medium trennen. Wenn Kreitz Sorge-Buch (ich habe nur kurz reingesehen, ich kann mit Kreitz nicht so viel anfangen, in den Kästner-Comic muss ich bei Gelegenheit aber mal reinsehen) zu statisch und der Geschichte nicht angemessen ist, dann ist der Comic eben nicht gut. Das Medium Comic kann jede Geschichte erzählen (So wie Buch oder Film auch), aber man muss es eben richtig machen. Dass Comics, der Name sagt es ja schon, aus lustigen Bildergeschichten entstanden sind (es gibt da auch andere Meinungen), prägt das Bild, das die Leute von dem Medium haben, ja heute noch. Nicht lustig? Schlechter Comic. Neu war da Art Spiegelman mit „Maus“ – das Thema Holocaust zwang das (deutsche) Feuilleton ja, das Medium einmal ernst zu nehmen und angeblich war der Comic ja „revolutionär“ (zeigt aber nur, wie wenig Ahnung das Feuilleton hat).
Was „Graphic Novel“ angeht: das ist ein Begriff, den Will Eisner Ende der 70er für seine Geschichten erfunden hat, Geschichten, die länger waren, als die üblichen Comic-Hefte und die auch andere Themen behandelten (wobei ich beider Definition auch nur die Länge, nicht die Themenwahl akzeptiere). In Europa gab es so etwas schon länger (den „Comic-Roman“), allerdings nicht mit den Definitionen und Begriffen, mit denen die US-Comics arbeiteten. Seitdem gibt es immer wieder Werke, die mit der Bezeichnung „graphic novel“ „geehrt werden“, Alan Moores Watchmen zum Beispiel. Das der Begriff jetzt in Deutschland ausgegraben wird, um vermeintlich oder tatsächlich anspruchsvolle Comics zu verkaufen, geht in Ordnung. Aber es ist weder neu noch zwängt es den Comic in eine Form, die es noch nicht gab.

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