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wernerLieber Bender Rodriguez (…)
Lieber werner (um Deine nette Anrede angemessen zu erwidern…), um Dir meine Abneigung gegenüber der in vielen Fällen unbedacht genutzten Formulierung „Geschmacksache“ näher zu erläutern: Ohne Adorno bemühen zu müssen, verlasse ich mich ganz auf meine eigenen Erfahrungen im Bezug auf Diskussionen und Wertungen über Musik. Allzu oft ist der Satz „Musik ist halt Geschmacksache“ ein Totschlagargument, bzw. ein abruptes Abwürgen eines Austausches, wenn einem Mitdiskutanten die Argumente abhanden zu kommen scheinen. Und nicht nur, wenn Erklärungsnot besteht, warum „man“ nun unbedingt ein Album von XYZ mit z.B. ***** bewertet, sondern auch um sich nicht mit Musik auseinander setzen zu müssen, die „man“ nicht versteht – oder nicht verstehen mag, selbst wenn „man“ vorgibt, an Musik überdurchschnittlich interessiert zu sein. Ein beliebtes Beispiel aus der Realität: „Isch kann ja mit Industriell wasch aafange, mit Neubaute un so, abber des SPK-Zeuchs do, desch is doch nur Krach – abber wenn Du meinsch es wär gut, ha, no, Geschmacksach‘ halt…“ Wer dann nicht Wände hochgeht, der hat ein Gemüt wie ein Ackergaul. Vielleicht wäre in diesen Fällen doch der gute Adorno zu bemühen, oder was denkst Du? Also, lassen wir die „Geschmacksache“ im musikalischen Sektor doch bei den Diskussionen über „schöne“ Musik und Wohlklang, bei den Vergleichen welcher Bon Jovi-Song nun besser sei, zurück. Wenn Musik experimenteller und „komplizierter“ wird und sich nicht mehr um Harmonie (wie auch immer diese geartet ist) schert, so finde ich ein profanes „Geschmacksache“-Argument fehl am Platze.
Was uns direkt zu „Machine Gun“ überleitet. Keine Sorge, werner, den Text habe ich bereits beim Hören des Songs mitgeschnitten – also muß ich nicht extra noch nachlesen… Und Erleichterung machte sich natürlich auch bei mir breit, daß Portishead keineswegs dem Soundgewitter eine textliche 1:1-„Betriebsanleitung“ verpassten – dies wäre folgerichtig das einzig Plakative gewesen. Höchstwahrscheinlich haben wir uns auch gegenseitig falsch verstanden, bzw. Du den Ironiegehalt in besagter Passage meines Vorgängerposts nicht erkannt (?)
Du schreibst von Ästhetik. Nun, für mich ist die reine Soundästhetik von „Machine Gun“ in alleiniger Verbindung mit dem Songtitel als Geglückt zu bezeichnen. Die Selbstzweifel, innerliche Zerrissenheit und emotionale Ohnmacht, die der Text von „Machine Gun“ beschreibt, hat selbstredend überhaupt nichts mit der naiven Hippieduseligkeit zu tun, die ich zu Vergleichs-, bzw. besser: „Nichtvergleichszwecken“ und zur Abgrenzung heranzog. Die Fragen, die der Text zu „Machine Gun“ offen lässt, sind möglicherweise durch die Soundassoziation eines Maschinengewehrs zu beantworten. Eine mögliche Antwort wäre u.U. auch „Handgrenade“. Allerdings wäre dann der maßgeschneiderte Sound futsch…
Abschliessend auf den „Vorwurf“ des „Kunstproduktes“ einzugehen: Ich teile insoweit Deine Betrachtungsweise des Prog-„Kunstgewerbes“ der Siebziger. Keine Frage, soweit sind wir uns einig! Allerdings sahen Yes und Konsorten mutmasslich ihre „Produkte“ weniger als „Produkte“, sondern als „Kunst“. Wobei im Prinzip eigentlich jedes Album ein „Kunstprodukt“ darstellt: Konservierte Musik, auf Materialien aufgebracht, in (mal mehr, mal weniger) ansprechender Verpackung. Dies müssen sogar die Authentizitätsfanatiker zugeben…
Nur, und dies ist das Schöne an der ganzen Angelegenheit: Einige Künstler sind sich der schieren Produkthaftigkeit ihres Popbetriebes durchaus bewusst und forcieren dies auch unverblümt. Großtaten dazu lieferten z.B. ABC mit ihrem Debutalbum ab, F.G.T.H. oder Sigue Sigue Sputnik (übrigens ist „Never Mind The Bollocks“ der Sex Pistols auch ein Kunstprodukt in Reinkultur – soweit zum Thema „der wahre dreckelige Rock kommt von der Strasse“ ). Aber was dies alles mit Portishead zu tun hat? Zu zeigen, was man kann, was man nicht will, was man kann – aber dennoch anders macht und/oder weglässt – dies alles haben Portishead mit „Third“ eigentlich ganz gut hingekriegt. Oder?
@ werner + all: Ich danke für Deine/Eure Aufmerksamkeit.
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I mean, being a robot's great - but we don't have emotions and sometimes that makes me very sad