Re: Portishead – Third

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nail75

Registriert seit: 16.10.2006

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pinchIch finde ja leider auch, dass Portishead 1 und Portishead 2 relativ schlecht gealtert sind. Die Songs geben nicht nur auf lange Sicht (und langem Gehör) entschieden zuwenig her, klingen reichlich steif, dürr, steril, kalt, zu clever und zu gekünstelt und erinnern mich leider nur unangenehm an übel riechende WG-Buden oder zugerauchte BWL Kneipen mit Rotweinkarte plus der dazu passenden Schöngeist-Klientel. Auf jedenfall nicht im geringsten an Seelenbalsam, Anmut, Grazie, musikalische Schönheit etc.pp. Von den angestrebten (oder auch nicht) Entwürfen einer zeitgemäßen Soulmusik sind diese Songs jedenfalls ebenso weit entfernt, wie bspw. von der bereits weitaus näherliegenden, exemplarischen Klasse einer x-beliebigen Massive Attack LP.
Schön, dass „Third“, obzwar vom großen Geniestreich natürlich immernoch weit, weit entfernt (den werden sie ohnehin niemals erreichen!), eben NICHT wie der laue Aufguss Vol. 3 klingt, sondern sich eher in Bereiche wagt, die diesmal wirklich zerbrechlich scheinen, weniger klinisch, weniger tot, weniger am Reissbrett ausgedacht, sperriger, origineller und lebendiger sind… tolle Platte, echt!

Stellvertretend für diejenigen, die meinen die Alben seien schlecht gealtert, nehme ich mal diesen Post um festzuhalten, dass ich das überhaupt nicht so sehe. Ich habe die Alben letztens wieder gehört und obwohl manches natürlich zeittypisch für die 90er ist, fand ich die Lieder noch genauso brillant wie damals. Kühl mögen die Songs ja sein, aber ich empfinde sie überhaupt gar nicht als steril, im Gegenteil als außerordentlich bewegend und intensiv. Massive Attack haben zwar einzelne Songs, aber keine Alben geschaffen, die sich damit messen können. Ich gebe zu, dass ich die Alben nicht oft einlege, aber wenn ich das tue, genieße ich sie immer. Insofern würde ich ihnen ohne Zweifel „Seelenbalsam, Anmut, Grazie, musikalische Schönheit etc.pp.“ zusprechen. Übrigens sehe ich beide Alben als elektronische Singer/Songwriter-Alben, unter Soul verstehe ich etwas anderes.

Was ich bisher von „Third“ hören konnte, ließ mich an ein Meisterwerk denken. Und ich verwende den Begriff nicht leichtfertig.

pinchWobei dies zu Beginn der musikalisch überaus schlaffen 90er Jahre ohne weiteres auf rund 2/3 der PORTISHEAD Hörer zutraf. Die kannten da halt nur die Alben ihrer komischen Indietypen und waren von sowas „aus-der-Reihe-tanzendem“ wie PORTISHEAD (oder den FUGEES) stattlich geschockt und überraschend berührt zugleich, abgestanden und seelenlos (und halbherzig) jedoch durch die Bank, was die ganze Sache dann mehr oder minder unfreiwillig zum Soundtrack einer ganzen Generation von Ballaballa-Konsorten und Hobbykaspern werden ließ. Aber davon mal abgesehen: wo nichts ist, ist halt nichts. Auch nicht mit viel Wohlwollen. Alles formidabel und hochprofessionell produziert zwar und super stylish und geschmäcklerisch aufbereitet, aber halt eben hohl.

Die Produktion mag zwar vielleicht das alles sein, aber das Entscheidende ist doch die Stimme (und die Songs) von Beth Gibbons. Wären die nicht würde Geoff Barrow irgendwo in Bristol den DJ spielen kaum jemand würde ihn kennen.

Ich finde, es spricht nicht gegen Musik, wenn sie auch von mehr Leuten gehört wird als einigen Spezialisten in Internetforen.

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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.