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und hier noch die Review aus der Berliner Morgenpost vom 25.01.08:
Der unglückliche Rebell
Nüchtern geben Pete Doherty und die Babyshambles ein rauschendes Konzert in der Columbiahalle
Von Johanna Merhof
Beschäftigt man sich mit Pete Doherty, muss man dorthin, wo es weh tut, es hilft alles nichts. Zuerst also ein Blick in die Klatschspalten: Doherty, Musiker und Totalkatastrophe, ist Gerüchten zufolge seit einiger Zeit nüchtern. Er trainiere jetzt für den Marathon, heißt es, wolle den Fußballclub KFC Uerdingen mit einer Spende retten und sei derzeit vor allem mit Beseitigung der Spuren seines ausschweifenden Lebens beschäftigt. Seine aktuellen Prioritäten: Augencreme und Gewichtsverlust. Bei einem wie Doherty sind derart lahme Neuigkeiten spektakulär, denn in Sachen Exzess gingen dem Boulevard längst die Superlative aus. Schockieren kann einer wie er nur noch durch plötzliches Ableben oder entschiedenes Apfelsafttrinken und einen ordentlichen Auftritt.
Eine unpolitische Rebellion
Demnach schockierte er in der ausverkauften Columbiahalle ungemein. Denn entgegen aller Vorhersagen und jeglicher Erfahrung: Pete Doherty samt Band Babyshambles war tatsächlich da, zu allem Überfluss auch noch Herr über Gliedmaßen, Sinne und Stimme. Sie waren alle gekommen: die schönen Mädchen mit den hysterischen Stimmchen, rülpsende Indierocker, die Alten in den speckigen Lederjacken und die zahlreichen Jedermanns. Geeint in dem Wissen, dass es derzeit keine Band gibt, die so perfekt suggeriert, dass da tatsächlich noch etwas ist, wogegen man aufbegehren muss, kann, soll. Was genau, ist erst mal wurscht, zur Not tun’s die Drogengesetze, noch kleiner das Rauchverbot.
Es ist eine unpolitische Rebellion, eine hedonistische Verschwendung. Ein Konzert der Doherty-Band Babyshambles ist die ekstatische Vereinigung einer altersunabhängigen Jugendbewegung, deren einzige Gemeinsamkeit lautet, dass sie sich, nun ja, bewegt. Klingt albern? Ist es auch!
Am besten aller möglichen Orte
Es geht hier um diesen ganzen herrlich verblödeten Rockdingsquatsch, um den Mythos von „Lebe wild und gefährlich“, um das Gefühl, die einzig angemessene Antwort auf überhaupt alles sei, sich eine Bierflasche über den Kopf zu schütten und im Verstärkerkreischen unterzugehen. Es geht um das Gefühl, zur genau richtigen Zeit am besten aller möglichen Orte zu sein. Der Ort ist hier. Es stinkt nach Schweiß. Dem Geruch der sich verschwendenden Klasse. Kreischende Ekstase trifft leise Enttäuschung.
Denn selbstverständlich wäre es der Legendenbildung weitaus zuträglicher gewesen, hätte Pete Doherty sich einfach auf der Bühne einen Schuss gesetzt anstatt formidabel zu rocken, hätte anständig gekotzt anstatt sich die Seele aus dem Leib zu brüllen oder wäre – damit haben viele sogar gerechnet – dem Wahnsinn einfach fern geblieben. Denn einfach bloß Konzerte geben kann ja jeder. Die Babyshambles spielten zur Wiedergutmachung ihres bloßen Daseins gleich mal ein überaus rauschendes.
Um halb elf ziehen sie zu Fanfarenklängen ein, die Orgie, ach was, die Schlacht kann beginnen. Doherty ohne Melonenhut, ohne Mantel, ansonsten ein echter Doherty. Er hat die Aura eines düsteren Raben und das kindliche Gesicht Peter Pans. Und er scheint bester Dinge. Singt von Schmerz und Ruhm und dem einzig passablen Weg in die Freiheit: raus aus dem Fenster. Es sind dreckige kleine Lieder, ramponierte Gossensongs zum Abheben. Die Wirkung auf das Publikum ist manchmal schon quasi-religiös, die Botschaft des Abends scheint zu lauten: Jesus lebt. Jede seiner Handbewegungen, jeder seiner Ausfallschritte und jede seiner nuscheligen Ansagen wird mit Jubel quittiert. Das Volk ist außer sich.
Schrecklich und schön wie das Leben
Zwei Alben haben die Babyshambles bislang veröffentlicht, zuvor spielte Doherty bei jener Band, die den Britpop mit dem Punk versöhnte, den Libertines.
Schon damals ahnte man: Der Mann ist ein Ausnahmekünstler. Ein Poet. Einer, der sich selbst zerstört, und das nicht etwa aus zynischen Gründen, sondern aus romantischen. Er verehrt Oscar Wilde, William Blake, Baudelaire. Seine Maxime könnte er bei Beckett abgeschaut haben: Wenn ich falle, werde ich weinen vor Glück. Und auch wenn man bei einer solch narzisstischen Pose der Selbstzerstörung ungern zuschaut: das Zuhören entschädigt. Dabei kümmert er sich selten darum, ob sein Instrument gestimmt ist, und, um ehrlich zu sein, beherrscht er es auch nicht besonders gut. Das Berührende an seinen Liedern ist gleichzeitig ihr größtes Problem: Sie verschwenden sich an den Moment, sie klingen so schrecklich und schön wie das Leben.
Daher funktioniert ein Doherty am besten live. Mit jeder derangierten Geste, jedem Ton beweist er seinen Anhängern: Verglühen ist was für Deppen. Leute, seht her, Brennen geht so. Ein Lied flammt heller als das andere – „You talk“, „Delivery“ oder „Killimangiro“. Man merkt, dass die Band froh ist, ihren Sänger so pulsierend zu erleben, denn obwohl die drei Musiker famos rocken: der Gig steht und fällt mit dem Künstler. Dieser schmeißt sich zur Zugabe mit Wut und Wahnsinn in den Song seines Lebens: „Fuck Forever“. Sein Leitmotto kulminiere in dem Ausspruch „Was ich liebe, muss ich zerstören“, hat Doherty vor kurzem gesagt. Nach diesem Auftritt wissen wir: Jede der Scherben spiegelt das Licht.
Aus der Berliner Morgenpost vom 25. Januar 2008
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