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Sexy strapaziert
Und voller Selbstreflexion: Pete Doherty und die Babyshambles gaben in der Columbiahalle ein wunderbar bröckeliges Konzert
von Markus Schneider
Natürlich stand man am Mittwoch etwas gereizt in der Columbiahalle. Nicht so sehr, weil die sehr freundlichen und kaum weniger uncharismatischen Kilians immer noch ein weiteres Stück ihres freundlichen, uncharismatischen Strokes-Revival-Rocks dranhängten. Sondern weil man reflexhaft fürchtete, Pete Doherty, für dessen Band Babyshambles die Kilians eröffneten, werde sein Publikum mal wieder versetzen oder, für alle außer die engsten Fans noch unangenehmer, stundenlang warten lassen. Hatten nicht die Berichte vom Vorabend in Köln angedeutet, dass er doch wieder auf Droge reiset? In Hut und Mantel hatte er offenbar das Konzert gegeben, verdächtige Tetrapacks dabei getrunken und nach einer guten halben Stunde abgebrochen, nicht ohne sich vorher noch auf die Bühne zu erbrechen. Schon begann man, sich über den eigenen eingebauten Voyeurismus zu ärgern, der insgeheim auf eine Fortsetzung von Dohertys albernem Drogenrocktheater hoffte – da trabte der auch schon, kaum zwanzig Minuten zu spät, zum wagnerschen Walkürenritt auf die Bühne, ohne Hut, Mantel und Tetrapack, dafür mit einer schwarzweißen Sixtiesgitarre und einer britischen Flagge, die er meist ums Mikrophon oder den langen Hals wickelte. Damit war das Skandalpotential im wesentlichen ausgeschöpft. Wie viele der folgenden 70 Minuten vom Gifteln angeregt waren – man weiß es nicht. Aber es sah nicht schlecht aus und klang meist besser.
Denn Kokain, Crack, Heroin, Alkohol und Kate Moss beiseite, zeigte ja schon das letztjährige, zweieinhalbte Babyshambles-Album „Shotter’s Nation“, dass Doherty durchaus noch in der Lage war, mehr als nur einen gelegentlichen guten Song zu schreiben.
Was man nicht unbedingt erwartet hätte nach dem Debüt „Down in Albion“ und der EP „The Blinding“, die im wesentlichen ein Spiegel des Chaos zu sein schienen, in dem sich Doherty befand. Und zwar bereits seit er zwei Jahre zuvor bei den Libertines, dem größten Ding im Britpop seit mindestens Blur und Oasis, immer wieder suspendiert wurde, weil er zum Beispiel in die Wohnung seines Kreativpartners Carl Barat eingebrochen war und dessen Instrumente und Computer für Drogen verhökert hatte. Konsequent vollzog Doherty in dieser Zeit den Übergang vom Rockstar zur beschädigten Celebrity. Torkelnd, sich schlagend und vertragend mit Kate Moss, spielte er amour fou und guckte dabei immer jämmerlicher unter seinem Pork-Pie-Hütchen hervor. Weil die Regenbogenpresse jenseits der Insel von den jeweiligen größten Britpop-Hoffnungen weniger beeindruckt ist, schrumpfte er dabei zum Rocktierchen an der Seite des Supermodels.
Ob ernüchtert durch die wohl endgültige Trennung von Moss oder genesen an der Arbeit mit dem Morrissey- und Blur-Produzenten Stephen Street – „Shotter’s Nation“ zeigte ihn melodiös inspiriert und mit allen britischen Rockwassern gewaschen. Nur sehr strenge Kritiker bemängelten, dass er sich allzu selbstvergessen an die Vorbilder von Kinks zu Cure zu Blur lehnte.
Dem ausgesprochen jungen Publikum in der ausverkauften Columbiahalle war das egal. Hier stand der geschundene Exfreund einer der coolsten Frauen der Welt und sang zu schrill-metallischen Gitarren ramponierte, rumpelnde Rockstücke über traurige Drogen, zerstörerische Liebe und eine verwahrlosende Nation. Es sah tatsächlich aus, als hätten Doherty und seine ausgezeichneten Mitstreiter die Bröckeligkeit der Substanzbeschädigung in eine überzeugend bröckelige Performance gewendet. Doherty deutete Stolpern an, drehte sich schlaksig ums Mikrophon und nutzte die Flagge zu wedelnden Übungen. In die sexy strapazierte Stimme legte er genauso oft eine entzückende kulleräugige Zerbrechlichkeit wie eine etwas hilflose Trotzigkeit. „In the morning, where does all the pain go, same place the fame goes, straight to the head“, begrüßte er sein Publikum mit den ersten Worten von „Shotter’s Nation“. Es geht darin darum, wie man durch Liebeswahn, Drogen und Ruhm nicht schlauer wird. Wofür sie Dir aber die Möglichkeit verliehen, hymnisch-schmerzliche Glam-Reflexionen zwischen New York Dolls und Big Star abzuliefern.
Keine Ahnung, ob er die Missgriffe der Gitarre beabsichtigt hatte, mit denen er oft kantig die Titel anhackte, aber die knappen, kaputten Soli wie das, mit dem er „You Talk“ unterbrach und dann wieder aufnahm, waren entzückend. Das alles könnte natürlich auch echt gewesen sein, der Mann wieder authentisch von Drogen beschwert und vom Rock’n’Roll. Schon hat er angeblich die Tochter eines Fussballtrainers geschwängert. Vielleicht wurmt es ihn ja, dass ihn Amy Winehouse derzeit als polytoxikomanes Elend abgehängt hat. Aber wenn Doherty uns bis zum endgültigen Absturz noch ein wenig mit wundervollen Trash-Monumenten wie „Fuck Forever“ unterhält, das gewohnheitsmäßig den Auftritt beendete: Dann sollten wir das ganz entspannt sehen.
Anmerkung von mir:
Die schwarzweiße Sixtiesgitarre ist eine Rickenbacker, die britische Flagge war dem Foto in der Zeitung nach zu urteilen eher eine englische.
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