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Schöne plattentest-Kritik, wie ich finde
Leben nach dem Tod
Allein die Formulierung ist schon paradox: das Leben nach dem Tod. Was tot ist, kann nicht leben. Doch wenn das Erdendasein den Lieben, Bekannten, und Verwandten auf Ewigkeit entsagt wird, stellt man sich nicht selten die Frage, wohin es sie verschlagen hat. Was sein wird, weiß niemand so wirklich. Vermutungen gibt es zu Genüge. Das Paradies? Eher nicht. Oder doch? Das große, schwarze Nichts? Möglicherweise. Im Grunde genommen sind wir Menschen mit unserem ständig präsenten Links, Rechts, Oben, Unten und um die Ecke viel zu einfach gestrickt, um fassen zu können, was Nichts bedeutet. Von daher: Lassen wir uns überraschen. Der Ort, an dem Grant McLennan nun verweilt, bleibt demnach für uns alle ein Geheimnis. Auch für Robert Forster, der angesichts des plötzlichen, erschütternden Todes des damals 48-jährigen McLennan vor zwei Jahren die gemeinsame, einflussreiche Band The Go-Betweens für immer auflöste. Dass er nun mit seinem ersten Soloalbum seit zwölf Jahren zurück ist, ist ebenso erfreulich wie überraschend.
Nicht in dem Sinne, dass die Verarbeitung des Todes den in Brisbane lebenden Australier zu sehr behindert oder blockiert hätte. Darüber weiß man nichts und das wird, dem Himmel sei gedankt, auch hinter verschlossenen Türen bleiben, so wie die Go-Betweens außerhalb ihres Songwritings nie eine wirklich mitteilungsbedürftige Band waren. Aber Forster gilt als bekennender Langsamschreiber, der sich für seine Songs viel mehr Zeit gelassen hat, als sein früherer, engagierter Songwriting-Partner. Schaut man sich die Credits der Go-Betweens-Platten an, ist klar, wovon hier die Rede ist. So standen vor dem Plan, doch wieder auf dem Parkett der Musikschaffenden aufzutauchen, gerade mal 29 Minuten Ton und Klang bereit, die man in aller Schnelle auf die Go-Betweens-typischen vierzig Minuten aufstocken und ausformulieren wollte und musste. Forster hat es geschafft – und im Überschwang sogar noch eine Sekunde drangehängt. Auf einem Soloalbum das keines ist.
Denn sie sind alle noch da: Adele Pickvance und Glenn Thompson, die andere Seite der Go-Betweens und Unterstützung vergangener Tage, die Forster auch für „The evangelist“ unter die Arme greifen. Zuletzt Grant McLennan, dessen körperliche Anwesenheit zwar schmerzllich vermisst wird, der aber immer noch als Silhouette durch die Reihen tanzt und sowohl seine letzten Lyrics, als auch seine Melodienlastigkeit zur Inspiration freigibt. Wie in „Let you light in, babe“, der kurzen Geschichte um eine, im eigenen Anwesen aufgenommene Familie, deren Anwesenheit letztlich mehr gibt, als den pragmatischen, sozialen Kontakt. Subtil verkleidet in ein paar wenigen, ausdrucklosen Sätzen. Ohne Umschweife packend aber ist jeder einzelne Ton. Dann, wenn die Mandoline sirrt und sofort verzaubert. Mit kleinen Stichen im Herzen, verursacht durch die Backing-Band mit ihrer euphorisierenden „Uh-Uh-Uh-Uh-Uh“-Bridge. Forster geht offensiv zu Werke, so selbstbewusst wie noch auf keinem seiner soliden bis formidablen Solowerke. Seine Sprachmelodie variiert, verhärtet sich nicht mehr auf das Abgehackte und Maskuline, sondern traut sich nach vorne zum vielschichtigen Angriff.
Ein Angriff, der sich auch in aller Bedächtigkeit zeigt. So im melancholischen Startschuss „If it rains“, das dunklen Schatten ausweicht und hinter verborgenen, fast mystischen Sätzen nach Hoffnung greift. Die Akustische legt sich auf Forsters Worte, und erst mit dem Donnergrollen und dem Regen, der zu keiner Zeit wie ein kitschiges Fieldrecording wirkt, gehen sie getrennte Wege. Eine meisterliche Dramaturgie. Forster spricht von Veränderung, von anderen Zeiten, von Resistenz, von Dankbarkeit. Mystische Zeilen weichen. Offensichtliches tritt zutage. „Demon Days“ folgt und erinnert in seiner entrückten, tief verschlossenen Machart an die brillianten Zeiten der Tindersticks. Die Flora-und-Fauna-Studie „Pandanus“ zeigt die ureigenen, australischen Einflüsse. „Don’t touch anything“ gibt sich in vollen Zügen herzlich sarkastisch. An jedem Song klebt Genialität und Brillianz. Bis hin zum schwarzverkleideten Schlussakt „From ghost town“, in dem Forster seine wohl schönsten Zeilen überhaupt erklingen lässt und eine Brücke zum Anfang schlägt: „There are places he could have stayed / But he had to go because he loved the rain.“
Aber so absurd letztlich der Tod erscheint, ist der wohl bewegenste Song auch gleichzeitig der schnellste und schunkeligste. „There was melody, there was harmony, there was sweet Sherrie / But it was melody he loved most of all“, beschreibt Forster seinen Freund in den liebevollen Zeilen der ebenso wunderschönen Charakterstudie „It ain’t easy“. Ein belebter Uptempo-Song, den Forster in früheren Tagen nie so wirklich hinbekommen hat. Hier aber passt alles. Jede Zeile, jeder Umschwung, jedes Instrument. Im stoischen Jingle-Jangle-Rhythmus feuert die elektrische Gitarre los. Die Violine lädt zum Tanz auf folkigem Parkett ein. Tränen fließen. Es wird gelacht. Erinnerungen werden ausgetauscht über ein ebenso feinfühliges wie schlitzohriges Genie, das man uns viel zu früh genommen hat. „A sly grin, that played to win / We will not see his kind again anymore.“ Der Chorus, noch von McLennan geschrieben, ist die kurzzeitige Reizüberflutung, die Bitte um Spurt, Sprung und absolute, endgültige Hingabe. Mit einem großen Kloß im Hals steppt man los und lässt den verkrampften Geist locker. Mit einer Energie, die von Herzen kommt, so dass auch der Verstorbene es hören wird. Dort, wo er nun seinen Platz gefunden hat. Nicht im Paradies, nicht im dunklen Nichts. In den Wünschen, Hoffnungen, Melodien und Gedanken seiner früheren Band. Und in einem ergreifenden, bewegenden Denkmal: „The evangelist“.
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"Man kann nicht verhindern, dass man verletzt wird, aber man kann mitbestimmen von wem. Was berührt, das bleibt!