Re: Golden Stone Walls

#6367269  | PERMALINK

mikko
Moderator
Moderator / Juontaja

Registriert seit: 15.02.2004

Beiträge: 34,399

Das CD Debüt der drei Bremer erscheint in Zusammenarbeit mit dem kleinen unabhängigen Label Dream Academy. Sieben Tracks sind da zu hören in gut 40 Minuten. Golden Stone Walls sind kein Rock’n’Roll Trio im herkömmlichen Sinn. Sie sind überhaupt nicht Rock’n’Roll im herkömmlichen Sinn.

Es dominieren elegische und mitunter etwas vertrackte, scheinbar ziellose Gitarrenklänge gespielt von Christian Schnepf und Louis Schürmann. Dazu gesellen sich sparsame Keyboards, ein Akkordeon (beides gespielt von Louis Schürmann) und die teils klagende, teils schneidende, manchmal verloren wirkende, aber immer überzeugende Stimme von Andrea Hesse. Dunkel und kühl nennt das Bandinfo diese Stimme. Stimmt, kann ich dazu sagen. Ebenfalls laut Info nannte eine Konzertbesucherin die Musik der Golden Stone Walls „borderline music“. Hmm… ich weiß nicht so recht, was damit gemeint sein könnte. Grenzwertig klänge zu negativ, Grenzen überschreitend passt schon eher. Ambivalent trifft es ganz gut, und sogar ein bisschen krank, ja. Ich widerspreche dem Info auch da nicht.

Die Tracks im Einzelnen sind recht unterschiedlich, auch wenn natürlich ein Gesamteindruck entsteht. Der Opener „Bones“ beginnt sogar mit einem sehr sparsamen Schlagzeug zu dem sich bald eine einsame Gitarrenfigur und ein dunkel dräuendes Keyboardcluster gesellen. Andreas Stimme sticht zum Teil kraftvoll heraus, zum Teil ist sie aber auch im Gesamtsound eingebettet. Mit fortschreitendem Geschehen wird der Sound dichter, und Andrea singt sogar mit sich im Duett. „Bones“ erinnert mich ein bisschen an die Musik von Rose Kemp, auch wenn die Gitarren dort viel stärker verzerrt sind.

Die etwas düstere, sinistre Stimmung setzt sich bei „Vinyl Stroll“ zunächst fort. Allerdings sorgen hier Akustikgitarre und Akkordeon für einen versöhnlicheren Unterton. Der Gesang besticht durch den Wechsel und das Zusammenwirken von Andrea und Louis, die hier die Hauptstimme abwechselnd und mitunter zugleich singen. Eine eigentümliche Spannung ergibt sich daraus. Faszinierend. Unwillkürlich muss ich an Gothic denken, aber im positiven Sinn.

Die Anfangsequenz von „Hidden“ weckt bei mir spontan Erinnerungen an die frühen Rainbirds. Andrea klingt hier fast so wie Katharina damals. Auch der Song und seine Struktur mit kraftvoll kurz geschlagener Gitarre ist typisch für die ersten Demos der Rainbirds.

„Change Your Life“ ist mit einem Drum Computer Track unterlegt, was mir zunächst nicht sehr gefällt. Im weiteren Verlauf baut sich aber doch eine ganz interessante Spannung auf zwischen Synthi Figur und einer sehr sparsamen Gitarre. Dazu schafft ein immer wieder anschwellendes dunkles Synthie Riff erneut so eine eher sinistre Stimmung. Und vollends gerettet wird der Track von Andreas unvergleichlicher Stimme, die hier das Kunststück vollbringt, verloren, einsam und eindringlich zugleich zu klingen. Schließlich baut sich aus den ständig wiederholten Keyboardläufen und immer lauter und verzerrter werdenden Gitarrenriffs eine Klanglandschaft auf, der man sich nun nicht mehr entziehen kann.

Bei „Energy World“, das mit einem flächigen Akkordeonkluster beginnt, bevor Andrea mit einer dieses Mal fast an Nico gemahnenden Stimme einsetzt, bin ich sofort gefangen von der Atmosphäre des Tracks. Klasse hier auch solche kleinen unscheinbaren Dinge wie die vereinzelten Zimbel- oder Triangelschläge und der Countdown im Hintergrund, bevor der Track in einem furiosen Crescendo aus Stromgitarre und Shouts endet.

Rein von der Songstruktur der eindringlichste und wohl auch kommerziellste (so man überhaupt in diesen Kategorien denken will) Track ist „Autumn Dawn“. Auch hier wieder eine unglaubliche Dynamik, die ganz ohne die üblichen Rockinstrumentarien auskommt. Erst sparsame leise, dann kraftvolle Akustikgitarre, ein Piano, das zumeist nur einzelne Töne, mitunter stakkatoartig spielt, eine überzeugende Melodie, die von Andrea fast beiläufig und dann aber trotzig fordernd gesungen wird.

Zum Schluss eine Coverversion des Depeche Mode Songs „I Feel You“. Diesen Track hätte sich die Band als Zugabe für die Club Bühne aufheben sollen. Da mag das funktionieren. Hier wirken die Fingerübungen auf Gitarre und Klavier, die sich minutenlang hinziehen, doch etwas ziel- und ratlos. Wenn dann der Gesang einsetzt, ist man halbwegs versöhnt, weil Andrea auch hier vortrefflich reüssiert mit einer sehr schönen und gefühlvollen Interpretation, die Soul und Jazz Sängerinnen jeglicher Couleur evoziert. Als Abschluss eines Gigs großartig. Hier jedoch… ich weiß nicht.

Insgesamt ein vielversprechendes Debüt, das sich jeglicher Kategorisierung geschickt entzieht. ****

GG159 erscheint morgen oder übermorgen.

--

Twang-Bang-Wah-Wah-Zoing! - Die nächste Guitars Galore Rundfunk Übertragung ist am Donnerstag, 19. September 2019 von 20-21 Uhr auf der Berliner UKW Frequenz 91,0 Mhz, im Berliner Kabel 92,6 Mhz oder als Livestream über www.alex-berlin.de mit neuen Schallplatten und Konzert Tipps! - Die nächste Guitars Galore Sendung auf radio stone.fm ist am Dienstag, 17. September 2019 von 20 - 21 Uhr mit US Garage & Psychedelic Sounds der Sixties!