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@ Carrot Flower:
Nach Art der Tauschzirkel hier im Forum poste ich meine Kommentare Song für Song; das fällt mir leichter als eine Gesamtbesprechung.
„Bones“ schreitet im Tempo einer Fronleichnamsprozession voran – das ist ein gutes Tempo und passt perfekt zu diesem Stück. Der Track wird von einem beschwingten Gitarrenriff getragen und mit langem Atem aufgebaut; er gewinnt an Nachdruck, ohne bombastisch zu werden; bleibt sparsam und transparent und erzeugt dennoch eine dichte, dunkle Atmosphäre. Das Keyboard sorgt mit feierlichen Motiven für das passende dezente Pathos, der Gesang hat Raum, sich zu entfalten, die Melodie geht ins Ohr, aber nicht zu schnell, der Text signalisiert Aufbruch, aber auch Gefahr – mir gefällt das alles ausgesprochen gut. Super Song.
(Das Nirvana-Zitat ist das „hello hello hello how low“ aus „Smells like Teen Spirit“, oder?)
„Vinyl Stroll“: Hier gefallen mir das versonnen klingende Gitarrenspiel im einen Teil und das einprägsame Akkordeonmotiv im anderen, das den Song in Richtung Folk führt, aber auch die ganze Anlage des Stücks. Es ist ruhig, aber nicht spannungslos. Auch die Idee mit den beiden Stimmen ist gut, obgleich die Ausführung nicht hundertprozentig nach meinem Geschmack ist. Wenn ich den Gesang höre (nicht Deinen Part, den anderen), entsteht bei mir der Eindruck, da sei einer um Ausdruck bemüht: Es wirkt auf mich nicht ganz natürlich; ich bilde mir ein, das müsste etwas beiläufiger gehen, weniger forciert. Speziell das Bühnenflüstern bei 3:15 halte ich nicht für eine gute Idee. Ich habe auch Mühe, die Worte zu verstehen, und weiß nicht, worum es im Text geht. Das Ende des Songs finde ich sehr schön, und „Vinyl Stroll“ gefällt mir insgesamt gut, nur eben nicht ganz so gut wie „Bones“ oder „Change your Life“.
„Hidden“: So wie „Vinyl Stroll“ ganz anders war als „Bones“, ist auch „Hidden“ wieder etwas Neues. Was mir gefällt, ist die dynamische Anlage des Stücks, das mehrmals Fahrt aufnimmt und einen Höhepunkt aufbaut. Die Gitarre erzeugt genug Spannung, das Keyboard trägt ein beunruhigendes Grummeln bei, der Gesang bewegt sich vom halben Sprechen bis kurz vor den Schrei und von der Verwunderung in die Nähe von Verzweiflung. Wenn das ein Lied über den „Verlust geistiger Zurechnungsfähigkeit“ ist, passt auch das Quieken am Ende: es signalisiert, dass der „Mindfuck“ Wirkung zeigt (und klingt für mich insofern nicht nach Unernst). Insgesamt stehe ich dem Song ambivalent gegenüber: Ich finde ihn stimmig, bleibe aber emotional auf Distanz; er nimmt mich nicht für sich ein.
„Change your Life“: Dieses Stück ist wie für mich gemacht; ich könnte es immer wieder hören. Es ist aufgebaut aus einer überschaubaren Zahl von Elementen, nichts ist überflüssig; es hat einen langen Atem, bildet eine sanfte Steigung über acht Minuten; es ist getragen, hypnotisch, dunkel und „wavig“, versehen mit dem Pathos des Neuanfangs; und der Gesang wirkt auf mich warm und mitfühlend, nicht etwa kommandierend (was unpassend wäre). Ein besonders schöner Moment ist der Einsatz von Gitarre und Gesang nach knapp vier Minuten („leave the stepping stones behind, set the room on fire“).
„Energy World“: Hier kommt wieder das Akkordeon ins Spiel und signalisiert für mich „Folk“. Ein paar Drones bilden einen statischen Background, vor dem Du eine kleine, feine Folkmelodie singst. Du musst da eigentlich nur auf den Klang Deiner schönen Stimme vertrauen, das ist genug. (Ein paar Details wünsche ich mir anders: eine zu lang gehaltene Note, das letzte „down“…). Der Teil, in dem der Countdown einsetzt, ist eigentlich besonders fein – leider bedeutet er, dass dann die „Rakete“ gezündet wird. Für mich wirkt das auf schlechte Weise „unernst“: nicht witzig, sondern inkonsequent – als habe die Band etwas in der Hand, verliere die Lust daran und werfe es weg. Ich verstehe es nicht.
„Autumn Dawn“: Das ist für mich der potentielle „Hit“ der Platte, die Nummer mit der stärksten Melodie, die am besten im Gedächtnis bleibt. (Ich habe mich schon dabei ertappt, spontan „golden stone walls are falling in autumn dawn“ zu singen.) Ich finde den Gesang sehr gut und ich mag die dynamische Anlage des Stücks, bin mir allerdings nicht sicher, ob es nötig war, dass der Track in der Mitte fast zum Stillstand kommt. Mir gefällt „Autumn Dawn“ jetzt besser als beim Erstkontakt auf MySpace; ich stelle mir jedoch vor, dass es mir noch besser gefiele, wenn ein Schlagzeug dabei wäre. Dann müsste der Gitarrist nicht so hart arbeiten, um für die Steigerung und den rhythmischen Nachdruck zu sorgen.
„I feel you“: Mein least favorite track. Das Stück braucht fast vier Minuten, um richtig loszugehen; das ist mir zu lang. Ich verstehe nicht, was die Band da treibt in dieser Zeit – es klingt für mich nach Probenraum und ich fühle mich auf eine Geduldsprobe gestellt. Wieso braucht man einen so langen Anlauf, um Depeche Mode zu covern? Der Song selbst ist natürlich meisterhaft, und Du hast auch die richtige Stimme, um ihn zu singen. Andererseits ist es keine besonders originelle Idee mehr, DM-Songs mit Gitarre und Klavier zu spielen – andere Künstler haben daraus ganze Alben gemacht. Beim Vergleich mit dem Original fällt auf, dass Dein Vortrag loser und variabler ist als der von Dave Gahan, weniger streng und sparsam. Ich finde diese Coverversion im großen und ganzen sehr okay (also die letzten vier Minuten, nicht die ersten).
Das Album insgesamt habe ich mir gerne mehrmals angehört, auch wenn mir nicht alles gefallen hat. Das Dunkle und Melancholische steht euch gut, denke ich. Ich halte Golden Stone Walls für eine vielversprechende Band.
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To Hell with Poverty