Re: Primal Scream

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ragged-glory

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Da es keinen Album-Thread gibt (und sich vermutlich einer nicht lohnen würde), kommt hier Joachims Kritik auf SPON:

spiegel.deWas denken die jungen Leute eigentlich über Bobby Gillespie und seine Band Primal Scream? Wir haben mal den Test gemacht und die neue Platte in 30 (zufällig ausgewählten) evangelischen Kindergärten vorgespielt. Kurze Auswahl aus den Reaktionen: 1. „Was will der Opa von mir?“ 2. „Interessant, aber nicht so mein Ding.“ 3. „Schotten sind böse, die mögen Europa nicht.“ 4. „So sah Papa früher auch aus.“ 5. „Britpop war doch vor meiner Geburt schon over.“

Zusammengefasst, und da haben die Kleinen ja ganz recht: Dieses Album ist auf fast perfekte Art durch und durch überflüssig. Bobby Gillespie, der kalkweiße Cowboy, der große Spargel der Erkenntnis, hat mit fast 51 Jahren nun mal keine Wand mehr, gegen die er rennen und seinen Spargelkopf hauen könnte. Und doch hat er sich ein Plätzchen gesucht in dieser Welt, in der alle Johnny heißen, in der man sich vor Bomben und den Schatten böser Städte schützen muss, in der Gott ein Priester aus Harlem ist und immer Drogen hat. In der alle alles machen können, weshalb es ja auch völlig egal ist, wenn einer Krautrock und Gospel und Techno mischt und in jeden zweiten Abzählreim eine Verschwörungstheorie stopft.

In den Neunzigern, als die Eltern jung waren, war Bobby der Mann mit dem magischen Auge, der alles früher sah als die anderen. Den Rave mit der Lavalampe, den Dub-Reggae mit der Melodica im Maul. Ja, Bobby erkannte sogar die Rückkehr des Rock schneller als die Rocker, und damals hätte man wetten wollen, dass Primal Scream, diese Gibbonbande, all die genrestarren Brit-Langweiler überleben würde. Hätte man sich aber nicht getraut, weil die Band ja ganz auf malaysischem Heroin war. Und jetzt, 2013, ist es so gekommen, und genau so schaut man sie an: mit dem mildtätigen, gerührten Blick, den man Überlebenden schenkt.

Mit anderen Worten: Es sind die Sinatra-Jahre des Bobby Gillespie. Und wenn man es so sieht, dann hat diese vollkommen unmaßgebliche Platte ihre Momente, eine glänzende, unsachliche, nicht-elder-statesman-hafte Weisheit, wie man sie von keinem anderen englischen Sänger bekommt. „Goodbye Johnny“ singt Bobby, wie der Senior-Gigolo in einer Rockabilly-Karaoke-Bar, ein herrlicher klarer Mondlichtstrahl, der mitten in einen ansonsten wilden, dichten Altmänner-Trip hineinfällt. Dann röhrt das Saxophon wie ein geiler Eber. Das hätte er sich als junger Mann nie getraut.

(5.9) Joachim Hentschel

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