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Dynamikkompression stört mich bei Rock- und Popmusik kaum. Sie hat dort einen legitimen Platz. Mit Hifi hat diese Musik sowieso kaum etwas zu tun.
Mit Hifi meine ich: Das Bestreben nach möglichst naturgetreuer Abbildung von Schallereignissen. Das geht eigentlich so: Musiker spielen, und zwar zusammen, auf der Bühne oder „live“ im Studio. Aufgenommen wird mit wenigen, aber erlesenen Gerätschaften von Toningenieuren, die wissen, wie sie die Mikrofone zu platzieren haben. Wenig Spuren, wenig Mixing und natürlich keine Overdubs. Hört man sich so etwas zu Hause auf einer guten Stereoanlage an, so kann dabei in der Tat fast die gewünschte Illusion entstehen, man wohne leibhaftig dem Musizieren bei.
Aber Pop ist ganz anders. Erstens wird er vorrangig für audiophile Minusgelegenheiten produziert: Partys, Autofahren, Kofferradio am Baggersee, Walkman, iPod. Große Dynamiksprünge sind da weder erwünscht noch seitens der Wiedergabetechnik möglich. Und zweitens hat er ohnehin ein ganz anderes Verhältnis zur naturgetreuen Wiedergabe. Sie interessiert ihn eigentlich nicht. Die Aufnahmetechnik ist im Pop nicht mehr nur neutrale Vermittlerin der Musik, sondern wird selbst zur Spielwiese von Kreativität. Mit unterschiedlichen Ergebnissen, versteht sich. Popmusik arbeitet mit weitgehend artifiziellen Klangbildern, nützt jede sich technisch bietende Gelegenheit, den Sound auf Überlebensgröße aufzublasen. Pegelanhebung und Dynamikkompression sind da Werkzeuge, die gut ins Bild passen. Der Grundgedanke von Hifi war natürlich ein anderer.
Pop hören und sich über schlechten Klang beschweren ist wie Eis essen und sich über dessen Kälte beklagen.
Zum Beispiel die in diesem Zusammenhang oft und nicht grundlos gescholtene „Morning Glory“. Neben dem völlig übertriebenen Pegel ist das unter audiophilen Gesichtspunkten auch ansonsten eine ganz furchtbare Produktion: Matschige Mitten ohne Zusammenhalt mit einem seltsam aufgedickten Hochtonbereich und übel verzischten Sibilanten.
Es heißt, die Band habe es genau so gewollt und sich mit dieser Ansicht gegen die verständlicherweise unwilligen Tonleute durchgesetzt. Man kann also sagen: Was als technischer Mangel erscheint ist tatsächlich eine bewusste künstlerische Entscheidung.
Trotzdem entfaltet die Platte natürlich eine wahre Wucht zB übers Autoradio. Bei einer ambitionierten, aber allzu analytischen Anlage fällt die Aufnahme dagegen völlig auseinander. Die seltsame Produktion wird so ohrenfällig, dass darüber jegliche musikalische Homogenität verloren zu gehen droht. Gerade deshalb habe ich die CD mehrfach zum Probehören in Hifi-Geschäften dabei gehabt, oft zum Entsetzen der Verkäufer. Weil man damit gut die rockuntauglichen, unmusikalischen, überanalytischen Sensibelchen unter den Geräten aussortieren kann.
Wenn es dann passt, weiß man, dass diese Aufnahme genau so und nicht anders zu klingen hat. Gerade mit dem absurd hohen Pegel. Wenn der die Feingeister in die Flucht schlägt, um so besser.
Dass ich Bill Evans oder Charles Mingus ohne Dynamikkompression hören will, dürfte auch klar sein. Zu Oasis passt sie.
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There is a crack in everything; that's how the light gets in. (Leonard Cohen)