Re: Kettcar – Du und wieviel von deinen Freunden

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kritikersliebling

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Fünf Jahre später eine bittere Erkenntnis

Kettcar – Du und wieviel von Deinen Freunden
2002 – Grand Hotel Van Cleef

Es ist eine Unart geworden, eigenes Erleben als unwichtig zu betrachten, um es dann in Liedern zu verarbeiten. Aber so etwas passiert, wenn man Produzenten und Managern glaubt, was sie in Interviews von sich geben. Da ist dann schnell von dem persönlichsten Album die Rede. Wenn die Arbeit ins Stocken gerät, geben sie gern den Tipp, doch über sich selbst zu singen. Das bringt mehr Gefühl in die Sache und überhaupt – ist es cooler und trifft bei aller Kleingeistigkeit den Nerv der Zeit bzw. der Zielgruppe. So erklärt sich dann auch die Schulhofromantik, die sich wie eine Cellophanfolie über Radiosender legt und in Interviews der Künstler breitgetreten wird. Dabei sollte alles am besten in der Raucherecke bleiben und zu Asche verkommen.
Kettcar haben mit ihrem Debüt diese Klippe zwar knapp umschifft und gehen trotzdem mit diesem Album unter. Das fängt schon bei dem Bandnamen an, der Assoziationen bei Menschen auslöst, die sich hoffentlich vom Inhalt des Albums längst entfernt haben und nicht mehr zur Käuferschicht zählen sollten, es sei denn, sie sind hoffnungslos romantisch oder treffender altbacken. Der nächste Kritikpunkt gilt dem Titel, der auch bei häufiger Betrachtung keinen Sinn ergeben will. Weder für sich allein oder im Kontext eines Satzes, den der Hörer sich selbst erarbeiten muss. So geht es auch bei den Titeln weiter. Anstatt kurz und knapp ein Lied zu bezeichnen wird hier kryptisch überhöht, was in der Aussage nur den Rest einer zerplatzen Seifenblase zulässt. Beispiele gefällig: „Landungsbrücken raus“, „Balkon gegenüber“ oder pseudointellektuell „Jenseits der Bikinilinie“ und „Lattenmessen“. Schlimme Titel für noch schlimmere Songs. Markus Wiebusch ist von der eigenen Mischpoke regelmäßig als guter Texter genannt worden. Nun, er hat den schmalen Grat der eigenen Befindlichkeit unter Ausschluss des Nachvollziehbaren gefunden. Das allein kann aber noch kein Kriterium sein, denn die Satzfragmente taugen nicht mal für ein Poesiealbum. Textlich eine Stilmischung aus den Interviews mit Kinski Mitte der 80er Jahre und Auftritten von Piet Klocke, will sich da gar nichts erschließen. Ein Zitat aus „Hiersein“: Hiersein kommt zu mir, ich sag, schön Dich noch zu sehen. Ich bin etwas irritiert, denn ich wollt schon wieder gehen. Und dann hält es mich am Ärmel und sag: Fehler sind passiert. Und ich höre wie die Butter in der Pfanne applaudiert. Zitat Ende. No comment. Musikalisch ist es zwar auf Indie getrimmt, überrascht aber über die volle Distanz nur etwa so oft wie Sonic Youth oder die Pixies in einem Song.
Das ausgerechnet Kettcar anno 2002 die Heilsbringer der deutschen Musikszene sein sollten kann man wohl nur als Versehen begreifen.

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Das fiel mir ein als ich ausstieg.