Startseite › Foren › Die Tonträger: Aktuell und Antiquariat › Bezugsquellen › Bei eBay gibt es gerade… › Re: bei ebay gibt es gerade…
Internet-Auktion
Die teuerste Platte der Welt
Die Ur-Version des legendären Bananen-Albums von Velvet Underground wird versteigert – es ist das kostbarste Artefakt aus fünfzig Jahren Popgeschichte.
Von Willi Winkler
Warum ist die Banane krumm?, fragt ein Kindervers und weiß auch gleich die Antwort: Weil sie nicht gerade ist. Krumm, wie sie ist, ziert die Banane das erste Album der New Yorker Rock-Band Velvet Underground, exklusiv gesiebdruckt von Andy Warhol, der die Gruppe in seine Factory aufgenommen hatte. Auf der Erstausgabe, die 1967 erschien, findet sich die Aufforderung: „Schäl sie und du wirst Augen machen.“
Nur wenige perfekt erhaltene Exemplare dieser Platte existieren noch; die Sammler reißen sich um die echte Banane, die noch nicht vom Cover abgezogen ist. Aber die Banane war nicht immer da.
Noch ehe der Multi-Dilettant Warhol auf die Idee verfiel, seine Pop-Factory um eine Rockband zu erweitern, spielte die Ur-Besetzung in den New Yorker Scepter-Studios ihre ersten düsteren Songs ein. Gerüchtweise waren diese Aufnahmen bekannt, gehört hatte sie aber kein Mensch, bis sie vor vier Jahren ein Plattensammler auf der Straße entdeckte.
In der Ramschkiste gefunden
Warren Hill wühlte im New Yorker Viertel Chelsea in einer Grabbelkiste und kaufte die vinylbeschichtete Metallscheibe, die ihm in die Hände fiel, für genau 75 Cents. Um die Beschriftung scheint sich vor ihm niemand gekümmert zu haben, denn da stand nicht bloß der Name der Band, sondern auch das Aufnahmedatum (25. 4. 66) und sogar der Name des Produzenten (Norman Dolph).
Lou Reed (Gitarre), John Cale (Bass und Viola), Mo Tucker (Schlagzeug), Sterling Morrison (Gitarre) – die Musiker von Velvet Underground – brachten zusammen mit ihrer Sängerin Nico in den sechziger Jahren alles durcheinander, was dem Konsumenten lieb war.
Sie spielten keine eingängigen Melodien, sie befleißigten sich vielmehr einer bei John Cage und Karl-Heinz Stockhausen abgehörten elektronischen Musik, und sie sangen Texte, die mit dem Eigenschaftswort „sadomasochistisch“ noch unzureichend beschrieben waren. Dass Nico Model war und das Singen nie gelernt hatte, störte niemanden, am wenigstens Warhol.
Das kostbarste Artefakt aus fünfzig Jahren Popgeschichte
Bei dem Fundstück handelt es sich um das kostbarste Artefakt aus fünfzig Jahren Popgeschichte. Es ist keine Gitarre, die Jimi Hendrix angesteckt hätte, kein Klavier, auf dem John Lennon „Imagine“ komponierte, nur ein kleines hochoktaniges Stück Blech, aber es enthält in frühen Versionen den Kern des Albums, das bei einer Umfrage des britischen Observer erst im Sommer vor „Sergeant Pepper“ von den Beatles, vor den Beach Boys oder Bob Dylan zur wichtigsten Rock-Platte aller Zeiten gewählt wurde.
Die sieben Stücke der Probe-Pressung bieten leichte Varianten zum veröffentlichten Album, vor allem aber erinnern sie daran, dass Popmusik, nur weil sie Gestalten wie Britney Spears ernährt, nicht notwendig dumm sein muss. Den Zeitgenossen war sie zu finster, und nicht zu Unrecht hatte die Plattenfirma Angst, es könnte sich das Publikum über die sonderbaren Texte erregen.
Die Kostbarkeit wird noch bis Freitag, 20.27 Uhr amerikanischer Westküstenzeit bei Ebay versteigert; Montagabend um 18 Uhr lag das Gebot bei 107.000 Dollar. Gemessen am Einkaufspreis, verglichen auch mit dem schnöden Platz 173, den die erste LP von Velvet Underground 1967 erreichte, ist das wahrscheinlich die beste Rendite der vergangenen Jahrzehnte. Andy Warhol wird vor Freude im Grab rotieren.
(SZ vom 05.12.2006)
--