Startseite › Foren › Abt. „Nebenwelten mit Gehalt“ › Meet & Greet › Come together › Wörter und Unwörter – Der gepflegte Stilistik-Thread › Re: Wörter und Unwörter – Der gepflegte Stilistik-Thread
„Kinderschänder“
Das Stichwort war an anderer Stelle gefallen, was ich dazu sagen wollte, passt aber wohl besser hierhin. Zunächst einmal zur Klarstellung: Sexuelle Gewalt gegen Kinder ist verwerflich und nicht zu tolerieren und es kann auch keine gewaltfreie Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern geben.
Wo Menschen zusammenleben, gibt es Gewalt in unterschiedlichsten Formen. Wenn man Gewalt soweit wie möglich verhindern will, muss man genau hinschauen: Wie entsteht Gewalt, wer übt Gewalt aus? Hilft ein Begriff wie „Kinderschänder“, irgendetwas zu verstehen – nicht im Sinne von „gutheißen“ – und zu verhindern? Er dient eigentlich nur dazu, besondere Abscheu zu artikulieren. Und Gewalttäter zu dämonisieren. Aber nur selten ist der „Kinderschänder“ der sprichwörtliche „böse Onkel“, der unheimliche Fremde, der Kinder mit Süßigkeiten anlockt. Die Täter stammen meist aus dem Umfeld der Kinder, sind eigentlich Vertrauenspersonen und eben keine Dämonen.
„Pädophiler“ wäre kein Begriff, der stark genug ist, um einen „Kinderschänder“ zu bezeichnen? Es ist vor allem der falsche Begriff. Nur ein Teil der Erwachsenen, die sexuelle Gewalt an Kindern ausüben, ist pädophil. Und längst nicht jeder Pädophile wird zum Gewalttäter. Wir verbauen aber Pädophilen, die verantwortungsbewusst mit ihrer sexuellen Störung umgehen wollen, jede Chance für ein solches Verhalten, wenn wir sie zu „Kinderschändern“ dämonisieren und die bürgerliche Existenz des Pädophilen vernichten, sobald seine Störung publik wird. Und das ist die Realität. Genauso wie Realität ist, dass Kinder in ihrem Umfeld, in dem sie eigentlich geschützt sein sollten, Gewalt erfahren können, durch Menschen, die nicht per se „böse“ oder „Triebtäter“ sind. Wir verdrängen nur die tatsächlichen Probleme, wenn wir vom „Kinderschänder“ sprechen, in dessen Kopf wir auf gar keinen Fall schauen wollen, und das mit dem Gefühl tiefster Abscheu. Damit ist aber keinem Kind geholfen.
Natürlich verwendet nicht nur die „Bild“ den Begriff „Kinderschänder“. Aber er ist symptomatisch für Medien, die gezielt Ängste und Gefühle ansprechen, um Auflage zu machen.
--