Re: Wörter und Unwörter – Der gepflegte Stilistik-Thread

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herr-rossi
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Nail 75Klar und darin sind sich diese Gruppen ja einig. Nur im Fall dieser Sinti ist es etwas anderes. Die wollen ja gerne von Dritten als Zigeuner bezeichnet werden.

Also der Aussage bin ich mal nachgegangen – und finde dafür keinen Anhaltspunkt. Dass sie „gerne“ so bezeichnet werden wollen, kann man definitiv nicht behaupten. Ein kleinerer Verband schreibt: „Die Sinti Allianz Deutschland hat keine Probleme mit der Bezeichnung Zigeuner, solange diese Bezeichnung wertfrei und ohne Diskriminierungsabsicht geschrieben oder ausgesprochen wird.“ Der größere Zentralrat deutscher Sinti und Roma lehnt die Bezeichnung dagegen ab. Eine Befragung hat gezeigt, dass mehr als die Hälfte aller Betroffenen das genauso sieht (57 %), 26 % machen es vom Kontext abhängig und nur 15 % haben kein Problem damit, einige verwenden den Begriff sogar als Selbstbezeichnung.

Das war mal anders. Für frühere Zeiten kann man natürlich keine Umfrageergebnisse heranziehen, aber es gibt ja in den Archiven viele Dokumente, und im 18. Jahrhundert haben deutsche Sinti die Bezeichnung „Zigeuner“ als deutsches Wort, nicht als Wort der eigenen Sprache, zur Selbstbeschreibung verwendet, ähnlich wie der einzelne Sinto neben seinem eigentlichen Namen auch einen deutschen Namen für den Kontakt zur Mehrheitsbevölkerung führte. Der Begriff ist dann durch die Kriminalisierung seitens der Obrigkeit und später dann durch den wissenschaftlichen Rassismus negativ besetzt worden. Im 18. Jahrhundert war dagegen das Verhältnis zwischen Sinti und Mehrheitsbevölkerung noch nicht derart belastet, es gibt viele Hinweise auf gute Kontakte und solidarisches Verhalten während der obrigkeitlichen Verfolgungen.

PS zum Ausgangspunkt der Diskussion: Der Zentralrat sieht die Diskussion um „Zigeunerschnitzel“ und „Zigeunersoße“ übrigens als Nebenschauplatz und will nicht als „Wortpolizei“ auftreten. Silvio Peritore macht aber auch deutlich, dass Sinti und Roma die Begriffe mehrheitlich nicht schätzen: SPON

Wörter und Redewendungen sind ja häufig sprachliche Relikte vergangener Realitäten, eine Sprache kann nicht frei davon sein. Trotzdem gibt es Wörter, die nicht mehr funktionieren. Wir wollen ja auch nicht in die Zeit zurück, als Menschen mit psychischen Störungen und geistigen Behinderungen ganz offiziell als „Irrsinnige“ und „Blödsinnige“ bezeichnet wurden. Wenn sich wie bei „Negerkuss“ mit „Schokokuss“ eine naheliegende Variante anbietet, warum sollte man sie nicht nutzen? Am Begriff „Schokokuss“ ist nun wirklich nichts bemüht und etepetete, ein einfaches Wort für eine einfache Sache.

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