Re: Wörter und Unwörter – Der gepflegte Stilistik-Thread

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nail75

Registriert seit: 16.10.2006

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lathoJa, nicht wahr? Da sind wir dann wieder bei der Kritik am Poststruktualismus, aus dem die „Sprachregelung“ heutiger Prägung springt, vor allem angewendet auf die „klassischen Minderheiten“ der End-Siebziger: Frauen, Schwarze (kommt ja aus Amerika), LGTB (eher L und G, Trans ist sehr kurzem und bedingt, Bisexuelle gar nicht). Sprache ist Text ist die Welt, wie wir sie uns machen – und ändern wir die Sprache, ändern wir die Welt. War mir immer zu universitär, theorie- und sprachverliebt, in ihren Schlussfolgerungen zu banal und für mich als Materialisten (das Sein, das Bewusstsein und ich) sowieso nie akzeptabel.

Geisteswissenschaftler bewerten Sprache zu hoch – what else is new? ;-)

Oder wie ein französischer Professor es mal ausdrückte: Der Holocaust ist kein Diskurs!

Ja, im allgemeinen schon, aber eben nicht immer. Als die Achillesferse des Poststruktualismus empfand ich immer die Möglichkeit (die mehr als eine Möglichkeit ist, sondern Realität) verschiedener Sprachebenen, „Sprachlandschaften“, in denen das selbe Wort ganz unterschiedliche Bedeutungen und Konnotationen haben kann. Dass also der eine Kreis einen Begriff rassistisch konnotiert, ein anderer nicht. „Zigeuner“ ist dafür ein gutes Beispiel, ich habe jetzt schon verschiedentlich gehört, dass der Begriff unter Sinti und Roma nicht eindeutig negativ besetzt ist (wie es oben auch geschrieben wurde).
Aber wichtige Erfolge hat es eben doch gehabt, eine deutliche Zivilisierung der Sprache in den letzten Jahren, ein Achtgeben, das es vorher nicht gab.

So ist es.

Ganz grundsätzlich hat es schon immer Sprachregelungen gegeben und ich bin auch froh drum. Und es ist zudem besser geworden, man erinnere sich doch an Polizeireport-Artikel aus den 80ern, in denen immer hervorgehoben werden musste, dass der Täter Ausländer war, „der 38-jährige türkischer Herkunft“ oder den schwiemeligen sexistischen Anspielungen mancher Herrenreiter.
Dass die Sprachregelungen inzwischen oftmals dumbed down sind: geschenkt. Sei es als simple Wortschablonen, die mit der Interpretationskraft einer Suchmaschine über Texte gelegt werden, sei es als Kampfmittel in der Aufmerksamkeitsökonomie („YXs Artikel ist rassistisch, Näheres verrate ichauf meinem Blog arbeitsloserjournalist.blogspot.com #aktuellerhashtag“) – das sollte ein intelligenter Mensch ohne Minderwertigkeitskomplexe doch identifizieren können.
Was die political correctness angeht sollte man sie wie noted non-theorist Caitlin Moran sehen: als Gebot der Höflichkeit (sehr britisch, but that’s Caitlin for you). So wie ich einen neuen Kollegen nicht mit „Hallo Schwanzlutscher“ begrüße, so sollte ich auch nicht Leute mit Worten bezeichnen, die ihnen unangenehm sind. Banal, klar, die Lösung liegt eben im Detail und muss immer wieder ausdiskutiert werden – am besten mit Argumenten. „Sprachdiktatur“ und „muss man doch sagen dürfen“ sind keine.

Genau, das ist bescheuert.

Moran ist nicht nur sehr britisch-höflich, sondern auch sehr britisch-pragmatisch.

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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.