Re: Wörter und Unwörter – Der gepflegte Stilistik-Thread

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latho
No pretty face

Registriert seit: 04.05.2003

Beiträge: 38,486

motörwolf[…]Es wird kalt in Deutschland, und dunkel. Leider.

Hat and beardAllerdings.

Macht euch keine Sorgen, Jungs, ich bin ja auch noch da.

nail75[…] Wichtiger als die Sprache ist aber das Handeln. […]

Ja, nicht wahr? Da sind wir dann wieder bei der Kritik am Poststruktualismus, aus dem die „Sprachregelung“ heutiger Prägung springt, vor allem angewendet auf die „klassischen Minderheiten“ der End-Siebziger: Frauen, Schwarze (kommt ja aus Amerika), LGTB (eher L und G, Trans erst seit kurzem und bedingt, Bisexuelle gar nicht). Sprache ist Text ist die Welt, wie wir sie uns machen – und ändern wir die Sprache, ändern wir die Welt. War mir immer zu universitär, theorie- und sprachverliebt, in ihren Schlussfolgerungen zu banal und für mich als Materialisten (das Sein, das Bewusstsein und ich) sowieso nie akzeptabel.

Von daher:

Hat and beard[…]
Nochmal ganz einfach: Wer sich rassistischer Sprache bedient, handelt rassistisch.

Ja, im allgemeinen schon, aber eben nicht immer. Als die Achillesferse des Poststruktualismus empfand ich immer die Möglichkeit (die mehr als eine Möglichkeit ist, sondern Realität) verschiedener Sprachebenen, „Sprachlandschaften“, in denen das selbe Wort ganz unterschiedliche Bedeutungen und Konnotationen haben kann. Dass also der eine Kreis einen Begriff rassistisch konnotiert, ein anderer nicht. „Zigeuner“ ist dafür ein gutes Beispiel, ich habe jetzt schon verschiedentlich gehört, dass der Begriff unter Sinti und Roma nicht eindeutig negativ besetzt ist (wie es oben auch geschrieben wurde).
Aber wichtige Erfolge hat es eben doch gehabt, eine deutliche Zivilisierung der Sprache in den letzten Jahren, ein Achtgeben, das es vorher nicht gab.
In Deutschland ist die political correctness (war ja schon im Englischen spöttisch gemeint), sehr viel später angekommen und wurde von unserem in den 80ern in die Breite aber nicht in die Höhe geschossenen Medien-Korps völlig missverstanden – ich erinnere mich an einen Artikel, in dem der antiamerikanische und auch sonst dumme Autor der Meinung war, wenn Amis „fuck“ zensieren, sei das „politically correct“. Als wenn in seinem Blatt dauernd „Ficken“ zu lesen gewesen wäre.
Der Begriff ist hierzulande von der extremen Rechten geprägt und erfolgreich in den Medien-Mainstream eingepflanzt worden – ebenso wie „Muslimkritik“ nachdem „Ausländer raus“ und „Überfremdung“ in den 80ern nicht funktionierten. Neuestes Unwort: „Wutbürger“. Eigentlich waren das ja gutbürgerliche Demonstranten, die gegen ein größenwahnsinniges Projekt der Bahn waren – heute wird es auch für die Kommentarspalten-Faschos, Rechts-Trolle und Hooligans verwendet. Tja, wenn man Journalisten ihren Bahnhof wegnimmt…
Ganz grundsätzlich hat es schon immer Sprachregelungen gegeben und ich bin auch froh drum. Und es ist zudem besser geworden, man erinnere sich doch an Polizeireport-Artikel aus den 80ern, in denen immer hervorgehoben werden musste, dass der Täter Ausländer war, „der 38-jährige türkischer Herkunft“ oder den schwiemeligen sexistischen Anspielungen mancher Herrenreiter.
Dass die Sprachregelungen inzwischen oftmals dumbed down sind: geschenkt. Sei es als simple Wortschablonen, die mit der Interpretationskraft einer Suchmaschine über Texte gelegt werden, sei es als Kampfmittel in der Aufmerksamkeitsökonomie („YXs Artikel ist rassistisch, Näheres verrate ich auf meinem Blog arbeitsloserjournalist.blogspot.com #aktuellerhashtag“) – das sollte ein intelligenter Mensch ohne Minderwertigkeitskomplexe doch identifizieren können.
Was die political correctness angeht sollte man sie wie noted non-theorist Caitlin Moran sehen: als Gebot der Höflichkeit (sehr britisch, but that’s Caitlin for you). So wie ich einen neuen Kollegen nicht mit „Hallo Schwanzlutscher“ begrüße, so sollte ich auch nicht Leute mit Worten bezeichnen, die ihnen unangenehm sind. Banal, klar, die Lösung liegt eben im Detail und muss immer wieder ausdiskutiert werden – am besten mit Argumenten. „Sprachdiktatur“ und „muss man doch sagen dürfen“ sind keine.

Was Kinderbücher angeht: ja, hatten wir schon. Kinderbücher wurden immer umgeschrieben. Wer’s nicht glaubt, dem zeige ich meine Hauffs Märchen-Ausgabe von ’37 mit einer antisemitischen Geschichte. Wer unbedingt den „Neger“ lesen will, der behalte seine alte Ausgabe. Huck Finn wird aber nicht angerührt! Eines meiner Lieblingsbücher und antirassistisch in allen Belangen (die Kritik daran meinte ich mit dummen Sprachschablonen).

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If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.