Re: Wörter und Unwörter – Der gepflegte Stilistik-Thread

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notdarkyet

Registriert seit: 15.04.2011

Beiträge: 701

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So sehe ich das:

Der Begriff „Asylant“ ist ein gebräuchlicher abwertender Begriff für alle Menschen (ob mit oder ohne Aufenthaltsstatus; Das ist den Verwendern des Begriffs nämlich in der Regel egal.) die in Deutschland Asyl suchen, der Anfang der 80er Jahre durch Teile der Presse etabliert wurde und dann leider auch von Staatsorganen und –vertretern übernommen wurde.
Die maßgeblichen Flüchtlings(selbst)organisationen lehnen diesen Begriff ab (The Voice, Karawane, Flüchtlingsrat, Pro Asyl etc.). Weitere negative Begrifflichkeiten, die aus dem Begriff erwuchsen, sind die bekannten Verächtlichmachungen: Scheinasylant, Asylantenflut etc.
Der Begriff ist also explizit negativ konnotiert und wird, wenn auch leider in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen (kein Wunder: der gesellschaftliche Umgang mit Geflüchteten und Asylsuchenden geht in die gleiche Richtung), als sprachliche Ausgrenzung und letztendlich Entmenschlichung verwendet.

Gerade weil viele der hier ankommenden Menschen der deutschen Sprache nicht (oder kaum) mächtig sind, ist diese Begriffswahl besonders bedenklich. Den meisten Menschen ohne deutschen Pass fehlen die Mittel, sich gegen diese Abwertung zu wehren.

Wenn die Solidarität mit Geflüchteten schon an dieser Begrifflichkeit scheitert, also von aufgeklärten Menschen nicht dagegen interveniert wird, dann wird es m.E. schwierig auch weitere Mindeststandards (Schutz vor rassistischer Behördenwillkür z.B.) durchzusetzen. Es ist kein Witz von den Flüchtlingsorganisationen, dass sie dieses Problem seit spätestens Anfang der 90er immer wieder (vergeblich) thematisieren.

Deine Vergleiche mit „Zigeunerschnitzel“ und „Nigger“ sind mir in diesem Zusammenhang völlig unverständlich.

Ganz konkret:
Zur Bezeichnung „Zigeuner-…“ für kulinarische Angelegenheiten hat sich der Zentralrat der Sinti und Roma z.B. ziemlich deutlich geäußert. Wer diese Begriffe weiter verwenden will, darf das. Es gibt kein Verbot für abwertende Sprache (auch wenn das gerne behauptet wird, von den selbsternannten Kämpfern gegen die „political correctness“).

Der Begriff „Neger“ und „Nigger“, im Kontext von Kolonialismus und Sklavenhandel, ist (außer bei den üblichen 10%) allgemein geächtet. In der Literatur, also der historisch-kulturellen Entwicklung, ist dieser Kontext so wichtig: Bei Mark Twain (hat and beard hat das treffend zusammengefasst) sind diese Begrifflichkeiten Teil der Kritik, beim unsäglichen „Negerkuss“ nicht. Im Gegenteil.

Sprache entwickelt sich, so wie die gesellschaftliche Zustände (und Bewusstseinszustände) sich entwickeln. Momentan habe ich den Eindruck, es geht rückwärts („Rollback“) und so ist diskriminierende Sprache auch für mich, der keiner der genannten diskriminierten gesellschaftlichen Minderheit angehört, ein Angriff auf den Humanismus und die Aufklärung.

Gerade in Anbetracht der rasant anschwellenden Hetze gegen Asylsuchende (inkl. der dazugehörigen Wutbürger- und Mobaufläufe) halte ich es für angebracht, die eigene Sprache zu reflektieren. Dazu zwingt mich niemand und die durchsichtige Demagogie der „neu“rechten „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen-Fraktion“ spornt mich eher an.

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