Re: Der Sinn und Unsinn von Best-Ofs, Samplern, Kompilationen usw.

Startseite Foren Kulturgut Das musikalische Philosophicum Der Sinn und Unsinn von Best-Ofs, Samplern, Kompilationen usw. Re: Der Sinn und Unsinn von Best-Ofs, Samplern, Kompilationen usw.

#5954849  | PERMALINK

ah-um

Registriert seit: 24.02.2006

Beiträge: 1,398

otis
Ich verstehe die Diskussion nicht ganz, auch nicht die um Fetischismus oder nicht.

Das Stichwort „Fetischismus“ habe wohl ich angeführt, für „verbiesterte Ideologen“ bin ich nicht zuständig.
Also: Ich bezweifle sehr, dass irgendjemand über tausend Exemplare des gleichen Gegenstands ansammeln kann und dabei frei von jeglicher fetischistischer Tendenz ist. Wie gesagt: Ich selbst gehöre da auch dazu.
Noch deutlicher wird das dann, wenn wie so oft von der Haptik oder dem Aussehen einer Platte geschwärmt wird oder dem erhabenen Gefühl beim Auflegen derselben. An der Musik kann dies alles nicht liegen, denn Musik hat weder Anfassqualitäten noch ein Aussehen. Hier wird offensichtlich ein Gegenstand durch den Benutzer mit Emotion und Bedeutung aufgeladen. Die Wahl des Fetischs ist dabei weitgehend beliebig. Sicher nichts Schlimmes, doch bestimmt auch kein Ausweis verfeinerter Kultur.
Der eigentliche „Sündenfall“ liegt natürlich schon in der Verfügbarmachung der Musik durch Tonaufnahme und -träger. War Musik zuvor flüchtig und ganz abstrakt, so hat man seither einen körperlichen Gegenstand, den man anfassen und beherrschen kann. Ein geradezu klassischer Fetisch.

Ich muss nicht alles haben. Mein Lebensglück hängt nicht davon ab, ob ich z.B. The Drift besitze oder nicht. (…) In einer schlechten Variante aber möchte ich es nicht besitzen.

Das klingt vernünftig.
(Ich unterstelle jetzt mal, dass du „The Drift“ für ein essentielles Meisterwerk hälst. Das tue ich nicht. Vielleicht können wir uns auf „Exile On Main St“ einigen.)
Aber: Lieber gar kein „Exile“ als ein schlechtes? Lieber gar keine Stereo-Anlage als eine, die schlecht klingt? Das dann doch nicht für mich.

Eine Single verkörpert für mich nun (neben vielem anderen pophistorisch Bedingtem) eine ganz besondere Musik/Medium Beziehung, da sie dem einzelnen Stück eine hervorragende Bedeutung beimisst.

Jein. Zunächst einmal ist – oder war – die Single eine millionenfach industriell hergestellte Sache. Ein Ware, von Idealismus nichts zu sehen. Schon deshalb macht mich die ständige Betonung des „Besonderen“ stutzig.
Die Bedeutung ist dabei natürlich auch genreabhängig. In weiten Bereichen der Popmusik ist die Single eher der kommerzielle Appetithappen für die radiohörenden Massen, die richtigen Fans hören das Album. Ganz anders natürlich z.B. beim Sixties-Soul, der unzweifelhaft ein Singles-Geschäft war. Doch auch hier würde ich auf der obigen Unterscheidung bestehen: Die Single war der Vertriebsweg der Wahl, aber das wirklich Entscheidende ist nicht die Single selbst, sondern das darauf enthaltene Stück Musik. Und deshalb habe ich kein Bedürfnis nach einer Original-Single, sondern bin vollauf zufrieden, wenn ich den Track auf einer Compilation hören kann. Und ich glaube nicht, dass dies irgendwie dem Geist dieser Musik widerspricht oder von mangeldem Verständnis derselben zeugt.
Im Gegenteil. Denn es ist Popmusik, gemacht um aus Millionen Lautsprechern zu plärren. Die Wahl des Mediums folgte ohnehin stärker wirtschaftlichen als künstlerischen Erwägungen. Als Gegenstand vefeinerter bildungsbürgerlicher Exegese und ehrfürchtiger Gelehrsamkeit war das Ganze schwerlich gedacht.
Wie schon früher gesagt, sehe ich dies keineswegs als Nachteil. Und ich selbst muss mich wohl kaum zu den Verweigerern der Pop-Exegese zählen lassen. Aber ich bin sehr wohl der Ansicht, dass hier oftmals die Form der Original-VÖ, das Track-Listing auf einem Album etc. deutlich zu wichtig genommen werden. Hier wird dem Pop ein Podest errichtet, der dieser Musik nicht gemäß ist, der ihr ihren Charme zu nehmen droht, gegen den sie teilweise sogar ausdrücklich rebelliert.

--

There is a crack in everything; that's how the light gets in. (Leonard Cohen)