Re: Der Sinn und Unsinn von Best-Ofs, Samplern, Kompilationen usw.

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nail75

Registriert seit: 16.10.2006

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Herr RossiAls ob es den nicht zwangsläufig gibt. Jeder hat nur begrenzte Zeit und begrenztes Geld für Musik. Damit ist es notwendig vorgegeben, dass man nicht jeden Künstler, der es (möglicherweise) wert wäre, umfassend studieren kann. Und Schnellurteile erlauben wir uns jeden Tag – von xy mal einen Song gehört und für schlecht oder langweilig befunden, da braucht es schon eines besonderen Anstoßes, um es doch noch zu versuchen. Und auch wer ein Album oder eine Single kauft, ist damit nicht im Besitz des umfassenden Werküberblicks…

…zumal man sich fragen kann, inwiefern der „Werküberblick“ selbst eine Konstruktion des Hörers bzw. Rezipienten ist, denn was als Album oder Singles veröffentlicht wurde, war ja oft kein Werk des Künstlers. Anders ausgedrückt, der Hörer konstruiert sich eine plausible Geschichte um die bestehenden Veröffentlichungen. Diese stellen aber keinesfalls das Werk des Künstlers in Reinform dar, während alles Nachgeschobene nur Entstellung oder Verwässerung ist. Im Gegenteil, eine gutgemachte Compilation schafft eine neue, eine andere Werkgeschichte, setzt andere Prioritäten bzw. schlägt eine alternative Route ein. Gegebenenfalls kann sie sogar Anlass einer völligen oder teilweisen Neubewertung des Werkes bei Kritikern und Publikum sein.

Im Falle einiger Bands der 1960er, inbesondere der Beatles, existieren je nach Land unterschiedliche Werkgeschichten, weil die Veröffentlichungspolitik unterschiedlich war. Die Capitol-Alben der USA entsprechen eben nicht den englischen Veröffentlichungen, weshalb man in den 1960ern und der Folgezeit von zwei grundsätzlichen unterschiedlichen Beatles-Rezeptionen ausgehen muss (oder sogar noch von weiteren). Erst im Zeitalter der CD wurde (soweit mir bekannt ist) der Versuch unternommen, die vielfältigen Geschichten dieser Veröffentlichungen zusammenzufassen und dabei die englischen Veröffentlichungen als Ausgangspunkt zu nehmen. Wer aber diese Umdeutung zu weit treibt, der verkennt die Flexibilität und historische Variabilität des Musikdiskurses, der je nach Zeit, Ort und Umständen eine unterschiedliche Ausprägung angenommen hat. Es gibt eben nicht eine Wahrheit, ein Original und einen Kern, sondern viele Wahrheiten, Wege und Realitäten. Und das gilt nicht nur für den Inhalt der Musik (denn „Penny Lane“ bedeutete natürlich in Deutschland, den USA und England nicht dasselbe), sondern sogar für die Form.

Abschließend noch ein Wort zu dem was Rossi schon vorher sagte. Die Überbetonung rein formaler Aspekte geht eigentlich gegen das Wesen der Popmusik. Popmusik ist „Volksmusik“ in des Wortes wahrster Bedeutung. Je nach Anspruch hört das Volk unterschiedliche Interpreten und Stile, aber prinzipiell wendet sich die Musik an jeden. Das bedeutet freilich auch, dass sie in den unterschiedlichen Kontexten zu hören ist, bei der Arbeit, beim Autofahren, beim Lernen, beim Entspannen oder in vielen anderen Kontexten. Im Gegensatz zu vielen anderen Formen der Musik ist sie grundsätzlich demokratisch, sie verkörpert eine der Grundlagen der Demokratie, nämlich die Gleichberechtigung aller Formen, in diesem Fall: musikalischen Ausdrucksweisen.

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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.